Das linke Dilemma

LINKSPARTEI Die Partei zieht Kandidatin zum dritten Wahlgang zurück und stellt Abstimmung frei

Nach dem ersten Wahlgang war bei der Linkspartei noch alles bestens. Ihre Kandidatin Luc Jochimsen hatte nicht nur alle Stimmen der 124 Wahlmänner und -frauen der Linken bekommen, sondern noch zwei Stimmen mehr. Der parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann hatte orakelt, „Kaderkommunisten aus dem Westen“ würden den CDU-Mann Wulff wählen – nur um den Stasi-Aufklärer Joachim Gauck zu verhindern. Doch das war nur ein Beleg für die aggressive Ahnungslosigkeit, mit der manche SPD-Funktionäre auf die Linkspartei schauen.

Dietmar Bartsch, Vizefraktionschef der Linkspartei, feierte Jochimsens Ergebnis im ersten Durchlauf als „grandiosen Erfolg“, der die Geschlossenheit der Linken zeige. Doch als Wulff auch im zweiten Wahlgang, wenn auch nur knapp, die absolute Mehrheit verfehlte, verflog die gelöste Stimmung zumindest beim pragmatischen Flügel der Linkspartei. Denn es war klar, was der dritte Wahlgang bedeutet: Die Linkspartei musste tun, was sie seit Wochen vor sich hergeschoben hatte: sich für oder gegen Gauck entscheiden. Und klar war, dass es mit der zuvor gefeierten Geschlossenheit in der Linkspartei vorbei war.

Nach dem zweiten Wahlgang braucht die Linksfraktion sehr lange, um zu entscheiden. Erst um viertel nach sieben trat Fraktionschef Gregor Gysi vor die Presse und verkündet das Erwartete: Die Linkspartei zog Jochimsen zurück und stellt den Wahlmännern und -frauen frei wen sie wählen. Allerdings, so Gysi, sind eigentlich „beide konservative Kandidaten“ nicht wählbar. Genau so hatten sich auch Oskar Lafontaine schon geäußert. SPD und Grüne seien schuld, weil sie nicht mit der Linkspartei über einen Kandidaten nachgedacht hätten. Doch vielen in der Linkspartei war auch klar, wie diese Skepsis gegenüber Gauck wirkt: als halsstarrige Fixierung auf die DDR-Vergangenheit.

Während Gysi vor der Fraktion in die Kameras sprach, fiel ihm der grüne Werner Schulz ins Wort. „Ihr müsst über euren Schatten springen“, rief Schulz. Gysi reagierte gereizt. „Die Unkultur kommt nicht von uns“, so Gysi. Das Verhältnis zwischen SPD, Grünen und Linkspartei ist nach der Wahl auf einem Tiefpunkt angekommen. STEFAN REINECKE