ROTE ERDE
: Die schönste Nebensache

fragt sich, wie viel Fußball noch da ist

Andreas Rüttenauer

Gestern habe ich mich gefragt, wie viel Fußball eigentlich noch da ist, wo ich wohne, unten im Süden Johannesburgs. Von einer Vuvuzela bin ich schon lange nicht mehr geweckt worden, so wie an den ersten WM-Tagen. Auch die Familie, die ihr ganzes Anwesen mit Georgskreuzen geschmückt hatte, hat ihre Fahnen am Montag eingezogen. Wenn es meiner Vermieterin kalt ist, wickelt sie ihren Körper nicht mehr in die dicke Decke in den südafrikanischen Farben, sie wickelt sich in rotes Rosenmuster ein. Und wenn ich mit den jungen Männern auf der Straße über Deutschland rede, dann geht es meistens um Autos. Am Sonntag soll ich mitkommen zu einem illegalen Drag Race nur mit alten BMW-Wagen. „Wir lieben das“, sagt einer der jungen Männer. „Und wir lieben es, wenn alles nach Gummi riecht.“ Wer’s mag, denke ich mir.

Der Fußball scheint zur Nebensache geworden zu sein. Deshalb habe ich es schwer bei den jungen Kerlen. Als ich erzähle, dass ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, wollen sie mir das nicht glauben. „Guter Witz“, sagt einer. Dass ich keinen Führerschein habe, weil ich nie einen machen wollte, verschweige ich. Ich muss als Mann bestehen unter den Männern, die sich auf der Wiese zwischen den Wohnblocks zum Rauchen und Trinken getroffen und mich in ihren Kreis aufgenommen haben. „Wo schaut ihr denn heute das Spiel an?“, frage ich. „Welches Spiel?“, werde ich zurückgefragt. Ja, sie hat sich zurückgezogen, die WM. Ob es nicht eine Kneipe hier in der Nähe gebe, wo man sich das Spiel anschauen könnte, frage ich.

Kurz darauf stehe ich mit einer Flasche Bier in der Hand in einer Hinterhofkaschemme und lasse mich anglotzen. Viel zu laut dröhnt Musik aus viel zu schlechten Boxen. Der Schankraum wird dominiert von einem riesigen Billardtisch. Um den herum sitzen die Gäste und verfolgen, wer die 20-Rand-Note gewinnt, die als Prämie auf dem grünen Tuch liegt. Ein winziger Fernseher hängt unter der Decke. Ich bin der Einzige, der versucht zu erkennen, wie das Spiel läuft. Der Empfang lässt arg zu wünschen übrig. Meine Hoffnung, als Fußballexperte in den Kreis der wahren Männer meines Viertels aufgenommen zu werden, schwindet. Soccer gibt es nicht an diesem Abend. Kurz darauf blamiere ich mich beim Billardspielen. Die Männer um mich grinsen mich an. Ich komme mir vor wie der Volltrottel des Viertels und nehme mir vor, ordentlich Billardspielen zu lernen, bevor ich das nächste Mal nach Afrika fahre. Vielleicht mache ich ja auch den Führerschein. Am Sonntag gehe ich auf jeden Fall mit zum Drag Race.