Staats-Fernsehen à la Berlusconi

JUBILÄUM Die Rai ist sechzig geworden. Eine Idee von sich selbst hat sie nicht mehr

Es war ein Sonntag, der 3. Januar 1954, als die Radiotelevisione Italiana – kurz: Rai – zum ersten Mal mit ihrem TV-Programm auf Sendung ging: Als echtes Nischenfernsehen – bloß 24.000 Italiener nämlich hatten am Starttag überhaupt ein TV-Gerät.

Klar, dass damals niemand von Einschaltquoten redete – auch inhaltlich konnten die Macher sich ein Programm erlauben, das heute bloß noch auf einem Spartenkanal durchginge. Italo Calvino, Komiker wie Dario Fo und später Beppe Grillo, in den 60ern dann Fabrizio De André wurden den Zuschauern zugemutet – Zuschauern ausgerechnet, die oft genug noch Analphabeten waren. Die Rai trat als Bildungsanstalt der Nation auf – und wurde so zum Medium, das in Italien überhaupt erst die Hochsprache durchsetzte. „Es ist nie zu spät“ hieß eine Sendung, in der ein Grundschullehrer Erwachsenen die Grundregeln der Orthografie nahebrachte.

Vatikan- und regierungstreu hatte es in der Rai allerdings schon zuzugehen. Dario Fo flog 1962 aus dem Programm wegen eines bitteren Sketches über Arbeitsunfälle, Beppe Grillo wurde geschasst, als er Witze über die korrupte Sozialistische Partei machte. Und das Sinnlichste waren die Beine der Kessler-Zwillinge.

So ging es 25 Jahre – bis 1980 Silvio Berlusconi mit seinen Privatsendern auf den Plan trat. Halbnackte Mädchen, viel Krawall, dazu Denver und Dallas. Und die Rai? Ihr fiel nichts Besseres ein, als die Berlusconi-Programme zu kopieren. So gibt es in Italien heute eigentlich nur noch Privatfernsehen – auch auf den drei öffentlich finanzierten Rai-Kanälen. Bloß im Sommer werden die Konserven aus den 50ern und 60ern gesendet – ganz so, als wolle die Rai selbst den Abgrund zwischen dem trüben Heute und dem glorreichen Gestern zur Aufführung bringen.

MICHAEL BRAUN