Die Leichtigkeit des Schlüsselspielers

Ghanas Asamoah Gyan, 20, kann ein Stadion elektrisieren. Er sagt vor dem Achtelfinale (heute, 17 Uhr) seines Teams: „Ich will Brasilien schlagen“

aus KÖLN DANIEL THEWELEIT

Asamoah Gyans Entdecker ist ein Deutscher. Ralf Zumdick, heute Co-Trainer beim Hamburger SV, arbeitete einige Jahre im ghanaischen Klubfußball, für kurze Zeit war er sogar Interimstrainer der Nationalmannschaft, im Herbst 2003 war das. In einer Art Vorrunde zur eigentlichen WM-Qualifikation spielte Ghana gegen Somalia, und Zumdick gönnte Gyan kurz vor dem Ende des Hinspiels sein erstes Länderspiel. Es dauerte keine fünf Minuten, da hatte der Stürmer sein erstes Tor für die Black Stars geschossen. Das war sechs Tage vor Gyans 18. Geburtstag. „Den konnte man bedenkenlos auch in diesem Alter reinwerfen“, erinnert sich Zumdick, „er ist unglaublich begeisterungsfähig.“

Mittlerweile ist Gyan 20 Jahre alt, seine Leidenschaft hat er sich bewahrt. In einer der stimmungsvollsten Partien dieser WM riss er ein ganzes Stadion mit. Ghana spielte gegen Tschechien – das afrikanische Team musste nach der Niederlage gegen Italien gewinnen – da schenkte Gyan seiner Mannschaft eine Energie, die das Kölner Publikum elektrisierte. Nach drei Minuten schoss er das 1:0. Gyans Spiel prägte diesen hinreißenden Auftritt Ghanas, mit dem die Afrikaner die Herzen der Zuschauer eroberten. „Mit gerade mal 20 Jahren dabei sein zu können und der erste Spieler in der ghanaischen Fußballgeschichte zu sein, der ein Tor erzielt, ist einfach ein überwältigendes Gefühl“, sagt der junge Spieler.

Im entscheidenden Gruppenspiel gegen die USA war Gyan aufgrund seiner zweiten Gelben Karte gesperrt. Gegen Brasilien, das größte Spiel in der Geschichte des Landes, ist er aber wieder dabei. Dann fehlt Michael Essien, der Kopf des Teams. Gyan bleibt trotzdem ganz schön forsch: „Jede Mannschaft, die sich für die Endrunde qualifiziert hat, möchte auch Weltmeister werden“, sagt er.

Für den Stürmer ist es nichts Neues, sich als Außenseiter überraschend durchzusetzen. Einst spielte er bei Sparta Prag vor und wurde wieder geschickt, „der schafft den Sprung ins Profigeschäft nie“, hätten die Tschechen gesagt, erzählte Otto Addo, sein Kollege in Ghanas Team. Bei dieser WM hat Gyan die Tschechen schwindelig gespielt. Er ist der Prototyp des westafrikanischen Stürmers: athletisch, kräftig, schnell, nur die Chancenverwertung ist verbesserungswürdig.

Addo bezeichnet seinen Mitspieler trotzdem als „absolute Granate“, und Gyan ergänzt selbstbewusst: „Ich bin ein Schlüsselspieler meiner Mannschaft.“ Als er am vergangenen Samstag zum Pressegespräch auf dem Podium im Würzburger Maritim Hotel saß, erzählte er nicht viel, lieber machte er hinter dem Rücken von Trainer Dujkovic Witze mit Kapitän Stephen Appiah, während der Coach ankündigte, dass „die Brasilianer leiden werden“, wenn sie Ghana schlagen wollen. Wie Schuljungen wirkten die beiden Spieler, diese Leichtigkeit macht die Stärke und Attraktivität des Teams aus.

Für Gyan geht es aber um mehr als Spaß. „Er betrachtet diese WM als Bühne, um auf sich aufmerksam zu machen“, sagt sein Entdecker Zumdick. Zwar steht er bei Udine Calcio unter Vertrag, doch zuletzt war er an den italienischen Zweitligisten Modena ausgeliehen. Die umtriebigen Scouts von Werder Bremen sollen den Stürmer schon länger im Auge haben, es kursiert sogar das Gerücht, der Bundesligist und der Spieler hätten den Wechsel bereits vereinbart, nur die Klubs müssten sich noch einigen. Manager Klaus Allofs widerspricht jedoch: „Wir sind uns nicht einig, und wir führen keine Verhandlungen.“ Ein grundsätzliches Interesse des Bundesligisten dementiert er zwar nicht, doch die Bremer Sturmplanungen sind nach Miroslav Kloses toller WM und den geweckten Begehrlichkeiten der europäischen Großklubs offener denn je.

Für Gyan ist das am heutigen Tag aber ein zweitrangiges Thema, denn jetzt steht das größte Spiel an, das seine Nation in ihrer Fußballhistorie erleben durfte. „Ich kann mir von hier aus nur schwer vorstellen, wie die Stimmung zu Hause ist“, sagt er, vermutlich geht das jedem so, der diese gewaltige Party auf den Straßen Accras, der Hauptstadt Ghanas, nicht mit den eigenen Sinnen miterlebt. Immerhin feiern die Deutschen eine Art Ersatzparty. „Unglaublich, wie uns die Leute hier unterstützen“, sagt Gyan. Es ist ein merkwürdiges Phänomen, dass den Afrikanern die Sympathien der Deutschen nur so zufliegen. In Köln sind seit Tagen alle Ghana-Fahnen und Devotionalien ausverkauft, und nach dem Sieg gegen Tschechien sang die Zuschauer im Stadion: „Oh, wie ist das schön!“ Ob diese Zuneigung nun einem Reflex des Mitgefühls mit den so oft auf der Verliererseite stehenden Afrikanern entspringt oder eine ästhetische Hinwendung zum Tanz-, Reggae- und Ursprünglichkeitsgefühl folgt, ist Gyan egal. „Ich will Brasilien schlagen“, sagt er. Er ist gewiss nicht der Einzige, der sich diesen Sieg wünscht.