FASCHISTISCHE STRASSENNAMEN
: Stadt der Gespenster

REINER WANDLER

Je länger ich in Madrid lebe, umso größer ist mein Unbehagen bei Spaziergängen durch die spanische Hauptstadt. Ich entdecke den Sinn hinter den Straßenschildern, auf denen für mich als Zugezogenen lange Zeit nur irgendwelche Namen irgendwelcher Unbekannter standen. Überall finden sich diejenigen, die für Spaniens Bürgerkrieg und Diktatur verantwortlich waren.

Mein erstes bewusstes Zusammentreffen mit dem steingewordenen Faschismus liegt Jahre zurück. Es war der Triumphbogen am Eingang des Universitätsviertels, der an den Sieg der Truppen von General Franco über die spanische Republik im April 1939 erinnert. Bis heute gehen täglich Zehntausende Studenten an ihm vorbei zum Unterricht. Meine ersten beiden Jahre in Madrid war ich einer von ihnen.

Eine jüngst veröffentlichte Liste eines Historikers nennt mindestens 184 Straßennamen, die bis heute Faschisten gewidmet sind, obwohl das seit 2007 gesetzlich untersagt ist. Doch die konservative Stadtverwaltung denkt nicht daran, die Schilder abzuschrauben. So spazieren wir durch die Straße des General Mola in Madrids schickem Stadtteil Salamanca oder die des General Yagüe im Business-Distrikt. Beide gehörten zu Francos Truppen, die sich gegen die Republik erhoben. Letzterer hat sich dabei den Namen „Schlächter von Badajoz“ verdient. Er ließ 4.000 Demokraten, Linke und Gewerkschafter erschießen.

Unweit des Parks Berlin und der deutschen Schule, auf die ich meine Tochter brachte, findet sich der kleine Platz mit Namen „Arriba España“. Das war der Schlachtruf der spanischen faschistischen Partei der Falange. Und natürlich fehlen auch diejenigen nicht, die Hitler bei seinem Feldzug gen Osten unterstützten.

Im Ende des 19. Jahrhunderts von Soldaten der Kolonialkriege in Nordafrika gegründeten Viertel Tetuán gibt es eine Straße „de los Caídos de la División Azul“ – „der Gefallenen der blauen Division“. Es waren faschistische Freiwillige, die Spanien zur Unterstützung des Nazi-Überfalls auf die Sowjetunion schickte. „Die Ausrottung Russlands ist eine geschichtliche Pflicht im Dienste der Zukunft Europas“, verabschiedete damals Serrano Suñer – Minister und Schwager des Diktators Franco – die Kämpfer. Der Caudillo, der Führer selbst, darf natürlich im Stadtplan auch nicht fehlen. Er hat einen Platz im Viertel Fuencarral – dieser hieß bis 1939 Platz der Republik.

Meine Lieblingsstraße wechselte den Namen ständig. „Avenida der CNT“, „Avenida de la Unión Soviética“ tauften die republikanischen Milizen Madrids Broadway, „José Antonio“ im Gedenken an den Gründer der Falange die siegreichen Franco-Truppen. Für die Madrilenen ist die amerikanischste Straße Europas schlicht die Gran Vía, der Große Weg.