Freispruch für Sterbehelfer

JUSTIZ Das Durchschneiden einer Ernährungssonde bei einer komatösen Frau ist legal – wenn dies ihrem Willen entspricht, entschied gestern der Bundesgerichtshof

Wenn es um Behandlungsabbruch auf Wunsch des Patienten geht, ist dies erlaubte passive Sterbehilfe

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe bekräftigt. Eine Heilbehandlung darf und muss abgebrochen werden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Im Konfliktfall darf dabei sogar der Schlauch zur Magensonde durchschnitten werden. Der BGH sprach deshalb den Münchner Anwalt Wolfgang Putz vom Vorwurf des versuchten gemeinschaftlichen Totschlags frei.

Im konkreten Fall hatte sich 2007 ein Pflegeheim geweigert, die künstliche Ernährung einer 76-jährigen Frau einzustellen, die schon seit fünf Jahren im Wachkoma lag. Ihrer Tochter hatte die Rentnerin früher gesagt, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle. Das Heim willigte zeitweise ein, machte dann aber aus Rechtsunsicherheit einen Rückzieher. Die Heimleitung drohte der Tochter sogar ein Hausverbot an, wenn sie die Magensonde der Mutter nicht akzeptiere. Auf Anraten des Münchner Anwalts Wolfgang Putz durchtrennte die Tochter den Schlauch der Magensonde mit einer Schere, um ihre Mutter sterben zu lassen.

Doch die Aktion wurde entdeckt, und die komatöse Frau erhielt sofort eine neue Magensonde. Sie starb später aus anderen Gründen. Ihre Tochter und Anwalt Putz wurden aber angeklagt. Während die Tochter einen Freispruch erhielt, weil sie dem Anwalt vertraut hatte, wurde dieser vom Landgericht Fulda im April 2009 zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Der 2. Strafsenat des BGH sprach den Anwalt nun frei. Er folgte damit den übereinstimmenden Anträgen von Verteidigung und Bundesanwaltschaft. Entscheidend war für die Richter, dass sich die Mutter in einer „mündlichen Patientenverfügung“ gegen die künstliche Ernährung ausgesprochen hatte. Die Wiederaufnahme der Sondenernährung durch das Heim, sei deshalb ein „rechtswidriger Angriff“ auf die komatöse Frau gewesen, so der BGH. Demgegenüber durften die Tochter und ihr Anwalt den Willen der Mutter durchsetzen.

Das Landgericht Fulda hatte auch nicht an einem entsprechenden Willen der Mutter gezweifelt. Es hielt diesen Willen aber nicht für geeignet, das Handeln von Tochter und Anwalt zu rechtfertigen. Denn die Fuldaer Richter sahen im Durchtrennen des Schlauchs eine verbotene aktive Sterbehilfe. Diese ist auch dann strafbar, wenn der Kranke aktuell oder in einer früheren Patientenverfügung ausdrücklich darum bittet.

Doch der BGH stellte nun unmissverständlich klar: Immer wenn es um einen Behandlungsabbruch auf Wunsch des Patienten geht, ist dies eine erlaubte passive Sterbehilfe. Es komme nicht darauf an, ob der Behandlungsabbruch durch ein bloßes Unterlassen oder eine aktive Handlung vorgenommen wird. Letztlich hänge es von „Zufälligkeiten“ ab, so die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing-van Saan, ob auf das Nachfüllen einer Nährstofflösung verzichtet wird oder ob aktiv ein Gerät ausgeschaltet wird. Selbst das etwas rabiate Durchtrennen des Sondenschlauchs habe nur dazu gedient, dem „natürlichen Sterbeprozess seinen Lauf zu lassen“, so die Richterin.

Das Gericht nutzte den Fall, um zugleich Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Auch bei einem Wachkoma sei der Behandlungsabbruch aufgrund einer früheren Patientenverfügung straffrei möglich, nicht nur wenn der Tod kurz bevorsteht. Und eine Genehmigung des Behandlungsabbruchs durch das Betreuungsgericht sei nur dann erforderlich, wenn Arzt und Betreuer bei der Auslegung der Patientenverfügung uneinig sind. Der BGH berief sich dabei auf das 2009 vom Bundestag beschlossene Gesetz über die Patientenverfügung. „Was im Betreuungsrecht erlaubt ist, kann im Strafrecht nicht verboten sein“, erklärte Richterin Rissing-van Saan.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger begrüßte das BGH-Urteil, das „Rechtssicherheit schafft“. Es dürfe keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Menschen geben. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) äußerte sich positiv. Nach Auffassung der christlichen Ethik gebe es keine Verpflichtung zur Lebensverlängerung um jeden Preis, hieß es in einer EKD-Erklärung.

Az.: 2 StR 454/09