Hart durchgegriffen

STRATEGIE Barack Obama hat zumindest schnell gehandelt: Stanley McChrystal war nicht mehr zu halten. Sein Nachfolger ist auf dem diplomatischen Parkett geschickter. Strategie wird nicht geändert

■  Nato-Soldaten: Mit 79 getöteten Nato-Soldaten ist der Juni 2010 der verlustreichste Monat für das Bündnis. Zuletzt starben am Mittwoch vier britische Soldaten bei einem Unfall in der Provinz Helmand. Bis dahin war laut iscasualties.org der August 2009 mit 76 Getöteten am verlustreichsten. Seit Beginn des Einsatzes 2001 starben 1.867 ausländische Militärangehörige, davon 1.133 aus den USA, 307 aus Großbritannien, 148 aus Kanada, 42 aus Deutschland. 2009 starben 521 Nato-Soldaten, in diesem Jahr bereits 299. Insgesamt sind rund 145.000 ausländische Soldaten im Einsatz.

■  Einheimische: Die Zahl der bei den Kämpfen getöteten Afghanen ist weitaus höher, genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln. In der afghanischen Armee und der Polizei sind die Verluste hoch. Auch unter den Zivilisten gibt es immer wieder Tote und Verletzte – durch Taliban, aber auch durch Isaf-Truppen.

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Ein General ersetzt den anderen. Der US-Präsident beweist Autorität. Und die militärische Strategie für Afghanistan bleibt identisch. So lautet in Washington die offizielle Lesart der Wachablösung am Hindukusch. Zuvor hat Barack Obama den ob despektierlicher Äußerungen gegenüber dem Weißen Haus in Ungnade gefallenen Oberbefehlshaber Stanley McChrystal geschasst. An seine Stelle hat er einen Mann gesetzt, den die Welt aus einem anderen Krieg kennt: David Petraeus war Oberkommandierender im Irak. Obamas Vorgänger George W. Bush gab dem heute 57-Jährigen in einem kritischen Moment den Posten im Jahr 2007.

Jede Menge Kontinuität

Falls der Senat zustimmt, wird damit ein General, der in Washington vor dem Kongress die Bush-Strategie im Irak vertreten hat, einen Mann ersetzen, den Obama vor einem Jahr selbst ernannt hat. Dieser Entscheidung enthält zwar eine Menge Kontinuität. Denn Petraeus war in Afghanistan an der Entwicklung der Militärstrategie beteiligt. Aber den von Obama angekündigten schnellen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan sieht der neue Mann kritisch. Obama hatte im vergangenen Winter noch davon gesprochen, dass es 18 Monaten dauern würde bis zum Kriegsende in Afghanistan. Petraeus steht dem skeptisch gegenüber.

Der soeben entlassene Vorgänger war ein Experte für „Special Operations“. Bevor Obama ihn nach Afghanistan schickte, kommandierte McChrystal im Irak die Killerkommandos, die die Spitzen von al-Qaida jagten. In der Special-Operations-Community gilt der rausgeworfene General als „Held“. Im Pentagon war er seit seiner Ernennung zum Oberkommandierenden in Afghanistan ob seiner lauten und kritischen Ausbrüche gegen die Machthabenden in Washington gefürchtet.

Von Anfang an lag darin der Keim für das, was ihn jetzt zu Fall gebracht hat. Sein Nachfolger ist auf dem diplomatischen Parkett geschickter. Von sich selbst sagt Petraeus, dass er nicht wählen gehe – um als Militär außerhalb der politischen Arena zu bleiben. Aber er pflegt lange und solide politische Kontakte zu allen Seiten. Und in Washington gilt es nicht als ausgeschlossen, dass die RepublikanerInnen ihn eines Tages auch für einen großen politischen Posten vorschlagen könnten.

Ausgelöst hat die Wachablösung mitten im Krieg kein militärisches Ereignis, sondern ein langer Artikel in einem Musikmagazin. McChrystal hat sich selbst außer Gefecht gesetzt, indem er selbst, zusammen mit Mitarbeitern beim Gespräch mit einem Reporter von Rolling Stone über die politische Spitze in Washington vom Leder zog. Unter anderem sprachen sie über die „Feiglinge“ im Weißen Haus. Nannten US-Vizepräsident Joe Biden: „Bite me“ – „Leck mich“. Und sagten über Präsident Obama, er sei „nicht gut vorbereitet“.

Der bereits aus dem Irakkrieg erfahrene junge Reporter Michael Hasting hatte dies in einem Porträt über McChrystal – „Der unkontrollierte General“ – zitiert, das in dieser Woche im Rolling Stone erscheint. Seit der Inhalt am Anfang der Woche bekannt wurde, stand Obama unter Druck. Der Präsident befindet sich in einer „Lose-lose-Situation“, diagnostizierte das Time Magazine. Obamas Alternativen waren, entweder einen General zu halten, der öffentlich gegen ihn spottet. Oder einen General zu entlassen, den er selbst eben erst ernannt hatte.

Die Verluste nehmen zu und die Zweifel am Sinn des Krieges wachsen. Für General Petraeus ist dieses Szenario bekannt

Zwei Tage Nachdenken

Nach zwei Tagen Nachdenken, nachdem er General McChrystal zum Rapport vorgeladen hatte und nach einer Sitzung des Afghanistan-Pakistan-Krisenausschusses im Situation Room, entschied sich der Präsident für ein hartes Durchgreifen. Er feuerte seinen Mann und versuchte zugleich, die Affäre zu entpersonalisieren. Er nannte das Sicherheitsinteresse der USA als einziges Motiv seines Handelns.

Der neue General übernimmt das Kommando in Afghanistan in einer komplizierten Phase. Die öffentlich angekündigte Großoffensive in der Taliban-Hochburg Kandahar stockt, obwohl die Truppen unter Obama massiv aufgestockt worden sind. Die Aufstandsbekämpfung in der der Region Helmand kommt nicht voran. Die Verluste nehmen zu. Und in den USA wachsen die Zweifel am Sinn des Krieges.

Für Petraeus ist dieses Szenario bekannt. Als er im Irak 2007 den Kommandoposten übernahm, war die Lage ähnlich – mit dem Unterschied, dass er es im Irak mit einem US-amerikanischen Krieg zu tun hatte. In Afghanistan hingegen mit einem internationalen. Petraeus hat seine ganze Karriere rund um Kriege konstruiert. Er kommt von der Militärakademie West Point und hat in Princeton eine Doktorarbeit über den Vietnamkrieg geschrieben. Und er ist der Vordenker eines Handbuchs zur Bekämpfung von Aufständischen, auf das auch Obamas aktuelle Afghanistan-Strategie fußt.

Meinung + Diskussion SEITE 10

Medien SEITE 14