Wo linke Studenten für die Bundeswehr kämpfen

Die eigene Meinung zählt bei den 6. Deutschen Debattiermeisterschaften nicht: 140 Studierende verteilt auf 70 Teams haben von Kiel bis München in den Vorrunden nach strengen Regeln diskutiert. Wie Nachwuchspolitiker beim Finale in Münster über Bundeswehreinsätze streiten

Lange Haare, dichter Vollbart, Hemd bis zum dritten Knopf geöffnet: Farid Schwuchow ist ein Kind des tiefroten Lipperlandes, das es an die FU Berlin verschlagen hat. Natürlich Politikwissenschaft. Studienschwerpunkt: Arbeitsmarkt. Doch vor 600 Zuhörern im größten Münsteraner Hörsaal H1 macht sich Farid für etwas anderes stark – den Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

Er muss das machen, egal wie er persönlich dazu steht. Das Thema hat sich das Publikum ausgesucht, seine Position das Los entschieden und er muss nun überzeugen, um die 6. Deutschen Debattiermeisterschaften zu gewinnen. Auf der anderen Seite lauert bereits die Opposition, die nur darauf wartet, wie Farid in der Rolle des Regierungschefs aus diesem undankbaren Thema einen vernünftigen Antrag machen will. Er hebt die Stimme und versucht staatsmännisch zu klingen. „Das Parlament möge beschließen, dass zur Abwehr einer akuten terroristischen Bedrohung die Bundeswehr auch im Inland eingesetzt werden kann.“

Sofort schnellen die Finger aller vier Oppositionsredner hoch. Darunter auch der Mainzer Publizistik-Student Simon Herrmann. Er weiß schon jetzt, dass dieses Finale an die Opposition gehen wird. Aber das reicht nicht. Denn das Rededuell wird im „British Parliamentary Style“ (siehe Kasten) ausgetragen: Vier Teams mit je zwei Rednern bilden jeweils die Pro- und Kontrakoalition. Nach dem missglückten Regierungsantrag sitzt Simons schärfste Konkurrenz nun auf der eigenen Bank und darf auch noch früher reden. Nur durch Zwischenfragen kann er sich bereits vorher profilieren.

Farid ist sichtlich irritiert. Er rückt seine Fensterglas dicke Brille zurecht, blickt langsam der Oppositionsbank entlang und gestattet schließlich Simon eine kurze Frage. „Wie soll eine Armee die für offene Kriegshandlungen ausgebildet ist, vor verdeckt agierenden Terrorismus schützen?“ Spätestens jetzt wünscht sich der Berliner Arbeitsmarktspezialist, dass das Publikum doch lieber für das alternative Thema „Streikverbot für Ärzte“ gestimmt hätte. Er versucht, stichhaltiger zu werden. Im Ausland nehme die Bundeswehr bereits polizeiliche Aufgaben wahr und daher sei es sinnvoll, sie nicht nur bei der Oderflut, sondern auch Terror gefährdeten Großereignissen wie der Fußball-WM zu aktivieren.

Die Welt zu Gast bei Feldjägern? Eine Steilvorlage für Oppositionsführer Marc Hauptmann. Wenn bewaffnete Soldaten das öffentliche Bild prägen, hätten Terroristen doch gerade ihr Ziel erreicht: die Aushebelung der Verfassung. Seine Teamkollegin Maika Spilke setzt noch einen drauf: „New York, Mailand, London: Das waren stinknormale Arbeitstage. Sollen wir etwa überall Militär hinstellen?“

Eine Frage, die Vorjahressieger Eike Hosemann vom zweiten Regierungsteam lieber versucht durch Polemik zu umschiffen. „Bei Ihnen diagnostiziere ich eine Krankheit, die ich bisher nur von meinen Jura-Kommilitonen kenne: exorbitante Grundgesetzhörigkeit“. Das bringt Lacher und daher setzt er noch einen hinterher: „Was machen denn Bundeswehrsoldaten? Ich kann es ihnen sagen: die gammeln.“

Terrorabwehr als ABM-Maßnahme – kein neues Argument, nur lustig verpackt. Sehr zum Leidwesen von Simon Herrmann. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Oppositionsargumente noch einmal in der sprachlich überzeugendsten Form zu präsentieren. Mit „Köln ist nicht Kabul“ gelingt es ihm schließlich einen dieser seltenen Basta-Sätze zu formulieren. Von der Ehrenjury erhält er daher den Titel „Bester Redner“, aber die Finaljuroren entscheiden sich beim wichtigeren Team–preis für seine Kontra-Kollegen Maike Spilke und Marc Hauptmann aus Jena. Ein Publizistik-Student, eine Betriebswirtschaflerin, ein Politologe: Spätestens seit der 6. Deutschen Meisterschaft in Münster steht fest, dass die deutsche Debattierkultur keine reine Jura-Domäne mehr ist.

Ralf Götze