berliner szenen Im Bett mit der Utopie

Öffentlich schlafen

Da wo es passiert, da will ich sein. Möglichst permanent. Schließlich lockt die Stadt mit dem Versprechen offener Urbanität. Also besser draußen bleiben. Denn erst mal zu Hause, ist es vielleicht zu gemütlich und man kommt nicht mehr weg.

Um gar nicht erst den Rückzug antreten zu müssen, trotzdem aber gelegentlich auszuruhen, gibt es gerade toll utopisches Anschauungsmaterial. Die Ausstellungen „Tokyo-Berlin“ und auch „Sonambiente06“ zeigen unter anderem auch zwei Schlafkapseln für den öffentlichen Raum, die schnelles Schlafen direkt am Puls ermöglichen. Ganz klein, ganz fein und immer mittendrin. Tsoyoshi Ozawa und Tilman Küntzel markieren mit ihren Schlafröhren, wo der Trend hingeht. Und schon vor ein paar Monaten wurde mit dem Projekt T.r.a.u.m in der Auguststraße ein Bett aufgestellt, frei zur Benutzung für jedermann. Der nette Wächter in der Nationalgalerie erzählt wiederum von der „Melancholie“-Ausstellung, wo sich eine Gruppe Übernachter die Ohren auf Lazarettbetten verbogen habe, um am Morgen unausgeschlafen und traurig zu sein.

Sind also öffentliche Schlafkabinen nicht bloß für betrunkene Hooligans und Japaner ein Zukunftsmodell? Ist es mehr als der sanfte Kapitalismus Asiens, der den Worker wabenhaft in sein System einbaut – womöglich gar zukunftsträchtig elitäres Modewohnen?

Rückzugsraum war gestern, das Bett auf der Straße ist jetzt. Nur der Berliner Hipster zeigt sich unentschieden. Schloss doch bisher die hiesige Prekarisierung noch großräumig-stuckgeschmückte Altbauwohnungen mit ein. Statt locker kreativ zurückgelehnt auf 60 qm also bald öffentlich platzangstig? Noch lächeln wir müde über solcherlei. Noch. TIMO FELDHAUS