Der Hundling

MORAL Im März muss sich Uli Hoeneß vor Gericht verantworten. Nicht nur der Präsident des FC Bayern sieht in dem Steuerprozess eine Riesensauerei. Eine Neujahrsgeschichte aus der Münchener Innenstadt

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Was das wieder kostet“, sagt der Müller-Albert zu seiner Frau und dreht sich einmal vor dem Spiegel. „Aber sie schaut doch gut aus“, sagt Gudrun, seine Frau. „Außerdem brauchst du eine.“ Jedes Jahr zwischen den Jahren gehen sie zum Hirmer in die Innenstadt und kaufen ein Sakko und eine Hose für das neue Jahr. „Die sollen ruhig sehen, dass dir was wert ist, was du anhast. Das zahlt sich am Ende schon aus.“ Auch wenn er sich durchaus vorstellen kann, dass seine Frau recht haben könnte, gerne geht er nicht in das Modehaus. „Schau, der Hoeneß macht das auch nicht anders“, hat seine Frau vor ein paar Wochen gesagt, als sie in der Abendzeitung über die Wiedereröffnung vom Hirmer in der Kaufingerstraße gelesen hat. „Schau, da steht’s“, hat sie zu ihrem Mann gesagt und ihm das Bild gezeigt, unter dem stand, dass sich der Hoeneß seine Hosen schon immer von seiner Frau beim Hirmer hat aussuchen lassen. Glücklich hat Hoeneß auf dem Foto ausgesehen. „Wäre ja noch schöner“, hat sich der Müller-Albert seinerzeit gedacht, „wenn die ihn wegen der paar Steuermillionen fertigmachen würden, den Hoeneß, den Hundling.“

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„In den Iden des März“, sagt der Meier-Wolfgang, „da wird sich alles entscheiden.“ Er hat schon immer gerne den Lateiner herausgekehrt. Der Giesinger Bub hat es nicht leicht gehabt auf dem humanistischen Gymnasium damals nach dem Krieg. Wo er gewohnt hat, haben die Kinder nach der Schule auf der Straße gespielt. Wo seine Mitschüler gewohnt haben, sind nachmittags die Privatlehrer gekommen. Heute wohnt der Meier-Wolfgang selbst in Bogenhausen, als angesehener Notar – nicht weit entfernt von dem Prominentenanwalt, mit dem er sich so gerne über Richard Wagner unterhält. Er gilt als eingefleischter Wagnerianer, der jedes Jahr nach Bayreuth fährt. Und auch wenn er es zu einem beachtlichen Wohlstand gebracht hat, weiß er, dass er für die wahren Herren Münchens immer ein Parvenü bleiben wird. „Er wieder“, sagt der Tabak-Heinz, dessen Familie sich mit dem Vertrieb edler Raucherwaren schon vor gut 150 Jahren in den Patrizierstand hochgehandelt hatte, „der Lateiner.“ Zwischen den Jahren war es immer besonders lustig an ihrem Stammtisch. Der Tabak-Heinz hatte gefragt, wann eigentlich der Prozess gegen den Hoeneß im nächsten Jahr steigt. „Und was willst du damit sagen? Dass sie ihn erdolchen wollen?“ Der Meier-Wolfgang schaut ganz ernst in die Runde: „Zuzutrauen wäre es ihnen, so wie sie ihn bis jetzt behandelt haben.“ „Auf den Uli!“, sagt der Kapuzen-Anderl, der ehemalige Mönch, der jetzt als Unternehmensberater so sehr gefragt ist, dass er schon nicht mehr wegzudenken ist aus ihrer Herrenrunde. „Der Hoeneß, der Hundling!“, denkt sich der Tabak-Heinz, während er sich sein helles Lieblingsbier in den Magen laufen lässt.

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„Wo bleibt eigentlich der Uli heute?“, fragt der neue Wirt die Neubichler-Marianne. „Weißt es doch sowieso“, sagt die. „Der war nicht mehr so oft da, seit die Sache aufgekommen ist.“ Nicht einmal zu dem schönsten Termin der Stammtischsaison ist er also gekommen. Die Neubichler-Marianne, die schon in dem Haus bedient hat, als der Vorgänger vom neuen Wirt sich in die Pleite gezockt hat, weil er sportwagenmäßig unbedingt mit seinen Stammgästen mithalten wollte, vermisst den Uli schon ein bisschen. Keiner gibt so viel Trinkgeld wie der Bayern-Präsident. Außerdem war er nicht ganz so fies wie die anderen. Wenn das Bier und die edlen Obstler vom Bodensee ihre Wirkung getan haben, dann landet nicht selten die Hand eines der feinen Herren an ihrer Brust. Und weil der Rausch eines Patriziers auch nicht anders daherkommt als der eines Plebejers, weiß die Neubichler-Marianne so manches, was sie lieber nicht wissen möchte. Dass der noble Herr Notar sich auch schon selbst angezeigt hat zum Beispiel, um wenigstens einen Teil des Geldes, das er einst nach Luxemburg gebracht hat, zu retten, würde sicher andere Menschen mehr interessieren als sie selbst. Immerhin gibt der Meier-Wolfgang fast so viel Trinkgeld wie der Uli, seit er an jenem Abend seine Hand unter das Dirndl seiner Lieblingsbedienung geschoben hat. Dem Uli wäre so etwas nie rausgerutscht, da ist sie sicher. Es musste zwar jeder immer wissen, wem er wann welche Summe gespendet hat. Und wenn er sich mit dem Ministerpräsidenten oder der Kanzlerin getroffen hat, dann wussten das auch immer alle. Aber über Geld hat er nie gesprochen. Und dass er an der Börse spekuliert hat, hat auch keiner mitbekommen. Die Neubichler -Marianne hat schon Respekt vor ihm. „Der Uli, der Hundling!“

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„Und, kommt noch wer?“, will der Geschäftsführer des Gourmettempels hinter der Fußgängerzone von seinem Chef wissen. Der Hoeneß-Uli sitzt alleine in seinem Lieblingsseparee. Das war schon öfter so, seit bekannt geworden ist, dass er in der Schweiz ein Konto hatte, das ihm der frühere Adidas-Boss aufgefüllt hatte, damit er Geld zum Spekulieren hat. Schon klar, dass einer wie der Ministerpräsident es sich in diesen Tagen nicht leisten kann, mit einem gesehen zu werden, der von den Medien als Steuersünder vorgeführt worden ist. Er hat den Hoeneß und den Parteichef oft bedient in jenen Tagen, als die beiden noch so etwas wie ein Gespann waren. Nach dem Triple des FC Bayern München hat der Ministerpräsident die kickenden Helden empfangen, sich selbst ein Bayern-Leibchen übergestreift und den Hoeneß-Uli endlich einmal wieder herzen dürfen. Aber zum Zwiegespräch im Separee war er nie wieder mit dem Uli verabredet. Sein Chef, der einmal beinahe alles, was er sich erarbeitet hatte, verloren hätte, nur weil etwas mit seinen Steuererklärungen nicht in Ordnung war, ist ein mahnendes Beispiel. Auch der aus Funk und Fernsehen bekannte Sternekoch hatte wichtige Freunde, die er in seinen Häusern gern, und ohne etwas dafür zu verlangen, bewirten hat lassen. Und doch hat man ihn wegen Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. „Da fragst du dich schon, warum du dich für so Sachen wie das Bundeskanzlerfest aufarbeitest, denen das beste Essen servierst, wenn dir in der Not dann doch keiner helfen will“, hat sein Chef gesagt, als klar war, dass es einen Prozess gegen den Hoeneß geben wird. Er hat aus eigener Erfahrung gesprochen. Aus der weiß er auch, dass es am Ende scheißegal ist, ob du Geld an der Steuer vorbeimanövriert hast. So viel Fernsehpräsenz wie in den Tagen vor dem Jahreswechsel hatte sein Chef lange nicht mehr. Er verkauft sich gut als bayerischer Schlawiner, und niemand hat ihn je auf seine Sünden angesprochen. „Der Uli trifft sich mit seinem neuen Anwalt“, sagt der Chef. Das hatte er gelesen. Dieser Mann hat noch jeden Promi vor dem Knast gerettet, sogar diesen früheren Postchef. „Der Uli schafft das schon“, denkt sich der Geschäftsführer. „Der Uli, der Hundling!“

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Die neue Hose war dann doch nicht so teuer, wie er befürchtet hatte. Zwischen den Jahren gibt es auch in einem Traditionshaus wie dem Hirmer Rabatt. Jetzt will er noch ein Helles in der neuen Bar des Modehauses trinken. 3,10 Euro kostet ein kleines Glas im edlen Ambiente. So wird es wahrscheinlich bald in dem Teamquartier des DFB ausschauen, dass die Hirmers gerade in Brasilien bauen lassen. Was wohl der Hoeneß hier essen würde, fragt sich der Müller-Albert. Das wäre dem doch viel zu vornehm hier, ist er sich sicher. „Lass uns doch noch ein Packerl Würschtl beim Aldi kaufen“, schlägt er seiner Gudrun vor. 2,19 Euro kostet eine Packung. „Das ist der wahre Uli“, denkt sich der Müller-Albert und erinnert sich daran, wie er auf der Mitgliederversammlung des FC Bayern mit seinem Präsidenten zusammen geweint hat: „Einfach einer von uns, der Hundling.“