Lettland führt den Euro ein

Währung Nur 18 Prozent der Letten wollen den Euro, wie Umfragen zeigen. Aber er kommt trotzdem am 1. Januar 2014. Lettland wird das ärmste Land der Eurozone sein

Die lettischen Banken sind labil und verwalten vor allem russisches Geld

VON REINHARD WOLFF

STOCKHOLM taz | Auf den 1- und 2-Euro-Münzen ist Milda zu sehen. Sie schaut ernst, trägt Landestracht und ist für Lettland fast eine Allegorie wie die Marianne für Frankreich. Mit dieser Wahl will die lettische Nationalbank Kontinuität demonstrieren und hofft, dass Milda den Letten hilft, ihre neue Währung schnell zu akzeptieren: den Euro, der sich auf lettisch „Eiro“ schreibt und der zum 1. Januar 2014 den Lats ablöst. Milda war auch auf den 500-Latu-Banknoten zu sehen, die nun ungültig werden, und schon in den 1920er und -30er Jahren wurde ihr Porträt auf zwei Münzen des damals selbstständigen Lettland geprägt.

Die Milda-Münzen in den Euro-Starterkits wurden bei den „Staatlichen Münzen Baden-Württemberg“ geprägt und bereits am 10. Dezember ausgeteilt. Binnen weniger Stunden waren sie ausverkauft.

Dennoch schaffte es weder Milda noch eine monatelange „Aufklärungs“-Kampagne, die Letten vom Euro zu überzeugen. Nur 18 Prozent der Bevölkerung möchte ihn laut Umfragen wirklich haben. Dies hat auch nostalgische Gründe: Als der Lats 1993 den Rubel ablöste, galt dies als endgültiges Zeichen für die Unabhängigkeit des Landes. Die meisten Letten hätten daher gern in einer Volksabstimmung entschieden, ob der Lats wieder verschwinden soll.

Lettland wird das ärmste Euroland sein. In der EU haben nur Bulgarien und Rumänien ein noch niedrigeres Bruttosozialprodukt. Dennoch hat Lettland die Maastricht-Kriterien erfüllt, obwohl die Finanzkrise ab 2007 zu einer tiefen Rezession und zu zweistelligen Inflationsraten geführt hatte. Auf diese Krise reagierte Lettland mit einer rigorosen Sparpolitik, Steuererhöhungen und radikalen Einschnitten bei den öffentlichen Ausgaben. Das Haushaltsdefizit wurde binnen vier Jahren von 10 auf jetzt 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung gesenkt. Die Wachstumsrate der Wirtschaft liegt über dem EU-Durchschnitt.

Allerdings sind die Probleme unübersehbar: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Außenhandelsdefizit ist immer noch beträchtlich, die Land- und Forstwirtschaft dominiert, und der Bankensektor ist labil, der vor allem von einem Zustrom russischer Geldanlagen profitiert.

Mit dem Euro werde das „stabile Schiff“ Lettland „noch stabiler“ werden, verspricht Nationalbankchef Ilmars Rimsevics: Das Land werde attraktiver für ausländische Investoren und das Zinsniveau sinken, weil nun das Währungsrisiko ausgeschaltet sei. Tatsächlich setzte Standard & Poor’s das Rating für Lettland kürzlich von „stabil“ auf „positiv“ hoch, weil es dem Euro beitritt. An der internationalen Wettbewerbssituation des Landes wird sich freilich nicht viel ändern: Der Wechselkurs des Lats war schon 2005 fest an den des Euro gebunden worden.

Wichtiger als wirtschaftliche Argumente sind daher geopolitische Aspekte. Nach dem Beitritt zur EU und zur Nato wolle man auch mit dem Euro gegenüber Moskau demonstrieren, dass Lettland zum Kern Europas gehöre, lautete eine Standardformulierung von Ministerpräsident Valdis Dombrovskis. Auch in Brüssel ist der Eurobeitritt vor allem politisch gewollt – Litauen hat bereits angekündigt, 2015 folgen zu wollen.

In den Geschäften sind alle Preise seit Monaten in Lats und Euro ausgezeichnet. Zur besseren Umgewöhnung gab die Zentralbank im November eine letzte 1-Lats-Münze heraus, die auf der Rückseite gleich den Umrechnungswert angibt: 1,42 Euro. Viele Letten fürchten dennoch, dass der Euro zum „Teuro“ wird und die Inflation zulegt. Für Finanzminister Andris Vilks ist dies „purer Unsinn“. Er prophezeit, die Eurozustimmung werde in den nächsten Monaten rapide wachsen.

Einlösen muss er solche Vorhersagen nicht mehr. Mit den Folgen des Währungswechsels wird sich ab Januar eine neue Regierung herumschlagen. Die jetzige, die Lettland auf den Eurokurs gebracht hatte, ist nur noch geschäftsführend im Amt. Ministerpräsident Dombrovskis trat zurück, um die politische Verantwortung für den katastrophalen Einsturz eines Supermarktdachs in Riga zu übernehmen. In manchen Kommentaren wurde dieser Einsturz zum Sinnbild für die Euroeinführung: hinter der schönen Fassade eine marode Konstruktion.