wm gucken mit
: ... überraschten Ghanaern

„Unsern Spielern fehlt der Mut, den Ball ins Tor zu schießen“, sagt Deiyoe Amoah. Der Ghanaer sitzt im Fan-Pavillon seines Heimatlandes auf dem Heiligengeistfeld. Er blickt hinaus auf den bunten Menschenstrom. In seinem Rücken, auf einem riesenhaften Flachbildschirm, schweben die Köpfe der tschechischen und ghanaischen Nationalspieler vorbei, dazu ertönen die Hymnen. Anpfiff.

„Zu Hause sind sie gut“, erzählt Amoah. Aber auf dem WM-Rasen hätten die „Black Stars“, wie das Team im Volksmund heißt, Angst. Ob man dieses Spiel gewinne? „Jeder will doch gewinnen“, zügelt er seine Hoffnung.

In diesem Moment, 66 Sekunden nach Anpfiff, lassen Appiah und Amoah die tschechische Abwehr aussehen wie Statisten: Eins zu Null für Ghana. Damit hat keiner gerechnet. Und kaum einer hatte den Spielbeginn wirklich verfolgt. Erst die zweite und dritte Wiederholung bringen Gewissheit: Ghana führt. Die rechte Tribüne vor der Großbildleinwand vibriert, gut 300 Ghanaer johlen bei jedem Einwurf ihres Teams, als wäre es mindestens ein Lattenschuss. Trommelwirbel mit den Füßen, Arme hochreißen, Trillerpfeifen. Immer mehr Fans in rot-gelb-grün warten vor der Tribüne, doch der Zugang ist begrenzt: Für jeden, der den Rang verlässt, darf einer ihn betreten. Und mit den so Eingewechselten kommen Trommeln, Kastagnetten. Und Lieder. „Gott ist so gut“, übersetzt Joe Abamkwa, der seit acht Jahren in Hamburg lebt, den Text frei aus einer der zahlreichen Sprachen Ghanas, dem „Ga-Adangme“.

So viel Frömmigkeit stellt die höchst gewissenhaften Ordner immer wieder auf die Probe. Auf dem Tribünengang darf man nämlich nicht stehen. Und tanzen erst recht nicht. Doch beim Versuch, die Regel durchzusetzen, finden sich die Aufpasser in ihnen unbekannte Bewegungen verwickelt. „In Ghana gibt es viele Volksgruppen und Sprachen“, sagt Abamkwa. „Aber beim Fußball sind wir ein Volk.“

80 Minuten sind vergangen seit dem 1:0. Ghana, mittlerweile in der Überzahl, hat bisher keine seiner Riesenchancen zu einem weiteren Tor gemacht. Selbst ein Elfmeter scheiterte am Nervenkostüm des Schützen. Zehn Minuten vor Schluss wächst die Angst vor dem Ausgleich. Ungeduldig verfolgt Abraham Taua die schwachen Torschüsse seiner Landsleute. „Das ist Afrika“, schimpft er. „Die erwarten gar nicht, dass sie treffen.“

In diesem Moment schießt Muntari den Ball zum 2:0-Endstand ins Netz der Tschechen. Wenige Minuten später ist das Spiel vorbei, die Fans torkeln die Tribüne hinunter. Kaum einer hat einen Bierbecher in der Hand, dafür fließen Freudentränen. Der nächste Gegner heißt USA, bei einem Sieg stünden die „Black Stars“ im Achtelfinale.

Mathias Becker