Rote Ampeln in der Nacht

POLITIK Manfred Rommel war als Stuttgarter Oberbürgermeister ein CDU-Mann durch und durch. Trotzdem hatte er Sympathien für die andere Seite. Der Grünen-Politiker Boris Palmer erinnert sich

■ Manfred Rommel war ein deutscher CDU-Politiker, 1974 bis 1996 Oberbürgermeister von Stuttgart. Sein Vater war der als „Wüstenfuchs“ bekannte Erwin Rommel, dem eine Mitwirkung bei der Verschwörung des 20. Juli 1944 nachgesagt wurde. Rommel galt als liberal, auch wegen seiner integrativen Ausländerpolitik. Er setzte sich unter anderem für eine doppelte Staatsbürgerschaft ein. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher mit Anekdoten, Witzen und politischen Betrachtungen.

VON PHILIPP MAUSSHARDT

Wir sitzen im Wohnzimmer von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer und trinken Kräutertee. Das grüne Stadtoberhaupt schleppt eine Erkältung mit sich herum und spricht deshalb etwas leiser. Palmer erzählt von roten Ampeln, über die er als Junge ständig fahren musste und über die mittelfristige Finanzplanung. Nein, Palmer hat kein Fieber. Es ist nur nicht ganz einfach, die komplizierte Beziehung zwischen Palmers Vater, einem unorthodoxen Freigeist, und dem Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel in wenige Worte zu fassen. Beide sind inzwischen gestorben, Rommel im November 2013, als Mythen und Volkshelden leben aber beide weiter.

Das mit den roten Ampeln war so: Palmers Vater Helmut, ein im ganzen Land bekannter Obsthändler und Marktplatzphilosoph, musste jeden Morgen um drei Uhr auf den Stuttgarter Großmarkt. Auf den noch leeren Straßen ärgerten ihn die auch zu dieser Uhrzeit eingeschalteten Ampeln, und so fuhr er regelmäßig bei Rot über alle Kreuzungen. Das hat den danebensitzenden Sohn nachhaltig beeindruckt. Noch mehr staunte der junge Boris allerdings, als eines Tages der Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart persönlich auf dem Beifahrersitz saß, und sich von seinem Vater den nächtlichen Ampelwahnsinn vorführen ließ. „Geändert hat Manfred Rommel an der Ampelschaltung allerdings nichts“, erzählt Boris Palmer, „und deshalb nannte mein Vater ihn nur noch ,Rommel der Lommel‘“ Für Nichtschwaben: Weichei.

Man darf, zumal in Baden-Württemberg, eigentlich nichts Schlechtes über Manfred Rommel sagen. Denn vielen galt der Stuttgarter Alt-OB schon als Denkmal, da war er noch sehr lebendig, und je älter er wurde, desto höher wurde der Sockel, auf den man ihn am Tage seines Todes einmal stellen wollte. In allen Nachrufen kamen die Wörter liberal, Toleranz und Selbstironie mehrfach vor. Weil er früh für eine multikulturelle Gesellschaft warb. Und weil er für die RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe eine Ruhestätte auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof fand. „Mit dem Tod muss jede Feindschaft enden“, sagte er.

Rommel verdankt seine politische Karriere auch seinem Namen. Wer nach dem Zweiten Weltkrieg mit diesem öffentlich warb, hatte zwei unschlagbare Vorteile: die Gegner des Nationalsozialismus klatschten in die Hände, weil sie den Namen irgendwie mit dem Widerstand gegen Hitler in Verbindung brachten, und die alten Kameraden klatschten in die Hände, weil sie im Sohn des alten „Wüstenfuchses“ noch immer ihren Helden sahen, der den Engländern in der Wüste von El Alamein so gehörig eingeheizt hatte. Beide lagen damit einigermaßen falsch, aber für den jungen Manfred, der 1960 in die CDU eingetreten war und sich 1974 erstmals zur Wahl stellte, konnte das ja egal sein. Er wollte eine Wahl gewinnen, und das tat er, sooft er sich in Folge seinen Stuttgartern stellte.

Mit 46 Jahren war Manfred Rommel OB geworden – OB, wie sein Vater. Der eine allerdings Oberbefehlshaber, der andere Oberbürgermeister. Für beide galt: Sie waren in ihren Ämtern erfolgreich, was ihr Image angeht. Aber eher erfolglos, was die messbaren Ergebnisse betrifft: Der große Feldherr hatte die Landung der Alliierten in der Normandie nicht vorhergesehen und jede Kritik an Hitler bis zuletzt vermieden, und der Volks-Bürgermeister aus Stuttgart hat, wenn man nach bleibenden Spuren sucht, gerade einmal die Erfindung der „mittleren Finanzplanung“ hinterlassen, ein bis heute angewandtes Steuerungsinstrument in der Kommunalpolitik. Erwin war als Kriegsstratege aber auch als Widerständler überschätzt, sein Sohn Manfred war es als Politiker.

Manfred Rommel war ein vehementer Demokrat. Aber er fand nichts dabei, bis kurz vor seinem Tod seine beiden Mentoren Kurt-Georg Kiesinger und Hans Filbinger (beide ehemalige Mitglieder der NSDAP) als bedeutende Nachkriegspolitiker zu bezeichnen. Er setzte sich mit Nachdruck für den Ausbau der Atomkraft ein. Und er war letztlich immer ein Parteisoldat, der selbst einen mäßig begabten Nachfolger unterstützte, Hauptsache, der war in der CDU.

Rommel schrieb 19 Bücher mit einer Gesamtauflage von knapp einer Million. Anekdoten, Gedichte, politische Essays, Witze. Eines, ganz spät, auch über seinen Vater. Eine Abrechnung kann man es nicht nennen. Eher eine gnädige Würdigung.

Manfred Rommel desertierte nach dem Suizid seines Vaters und geriet in französische Gefangenschaft. Lange nach dem Krieg trafen sich am Todestag des Feldmarschalls noch die alten Kameraden an seinem Grab in Herrlingen bei Ulm, um der schönen, guten, alten Zeit zu gedenken. Manchmal sah man auch Manfred Rommel dort bei Gedenkfeiern, allerdings meist ohne Krawatte. Das war seine maximale Protestform gegen die Vereinnahmung seines Vaters durch Ewiggestrige.

Palmer senior war so ziemlich das Gegenteil von Rommel. Er opponierte gegen alles, was nach Autorität roch, notfalls mit beleidigenden Worten und saß deswegen mehrere Monate seines Lebens im Gefängnis. Er fuhr mit einem falsch geparkten Polizeiauto davon und zog einen einfältigen Dorfbürgermeister an der Krawatte durch den Rathausflur. Dennoch verspürte Rommel eine Grundsympathie für den rabiaten Obsthändler. Vielleicht, weil er an ihm das Kompromisslose schätzte, was ihm fehlte.

Offen formuliert hat er seine Hochachtung nie, aber der Wortwitz, den beide pflegten, machte sie zu Verbündeten. Boris Palmer erinnert sich an viele Treffen zwischen seinem Vater und Rommel. „Jedes Jahr an Weihnachten brachte mein Vater ihm ein kleines Geschenk nach Hause. Und als er mal wieder im Gefängnis saß, freute er sich besonders, dass Rommel eine Petition für seine Freilassung unterschrieben hatte.“

Palmer kandidierte als freier Kandidat bei fast jeder Bürgermeisterwahl zwischen Ulm und Stuttgart, wurde aber nie gewählt. Journalisten beschimpfte er als „Berufs-Sudler“, Amtsträger als „Grautseggl“ oder „Obernazi“. Rommel, fast anerkennend, nannte ihn deswegen, „den genialsten Beleidiger nach Martin Luther“ und riet ihm gleichzeitig, sich „zu mäßigen.“

Waren sie Freunde? Boris Palmer schenkt Tee nach. Als er, der Grüne, in Tübingen für das höchste Amt im Rathaus kandidiert habe, sei Manfred Rommel, schon an Parkinson erkrankt, gekommen, um ihn zu unterstützen – obwohl es einen CDU-Gegenkandidaten gab. Das sei natürlich auch ein Zeichen der Anerkennung für seinen Vater gewesen. „Freunde ist vielleicht zu stark, aber Achtung hatten sie beide voreinander.“

Schade für Rommel, dass er die Regierungsbildung in Berlin nicht mehr miterleben konnte. Er liebte Große Koalitionen. Da wurde weniger gestritten. Zu seinem eigenen Abschied aus dem Rathaus empfahl er den Fraktionen: „Haltet au a bissle zamma“ – auf gut deutsch: Seid nett zueinander.