Untergang des Abenteuerlandes

GESELLSCHAFT Die Mittelschicht, heißt es, wird immer dünner und könnte bald ganz verschwinden. Schade eigentlich. Ein kleines ABC der Dinge, die mit ihr untergehen

Die alleinstehende Villa ist dekadent, die Mietskaserne prekär – nur das Reihenhaus ist bausparverträglich

A wie Aquarium, wahlweise auch Gartenteich: Beim Meditieren über die sanft dahinpaddelnden Trauermantelsalmler oder Zebrabärblinge zeigt die Mittelschicht mal ihre meditative und kontemplative Seite. Gibt’s einen Garten, muss da ein Gartenteich rein – und in den Teich der japanische Luxuszierfisch Koi.

B wie „Bertelsmann Buchclub“: Bildung muss sein, am besten frei Haus. Die Bücher dürfen auch eingeschweißt bleiben, das ziert und schützt das empfindliche Papier.

C wie Carport: Anders als die plumpe Garage zeigt der luftige Carport, was er beherbergt.

D wie Deutschland: Wird bald von den Chinesen überholt, bei Wirtschaft, Wissenschaft und Sex. Hinter dieser Furcht steckt die heimliche Sehnsucht, es möge auch endlich hier mal wieder einer sagen, wo es langgeht.

E wie Eisdiele: Nirgendwo fühlt sich die Mittelschicht so melancholisch und weltläufig. Im „San Remo“ kann sie sich im Sehnsuchtsland Italien wähnen und an lauen Sommerabenden seufzen, dass es doch nicht mehr viele solcher Abende geben wird.

F wie Fielmann: Wichtig für eine Mittelschicht, die den Durchblick hat, auf den Pfennig schaut und Gucci oder Dior als „zu mondän“ ablehnt. Oder als „zu teuer“.

G wie Golf, der VW: Hoffnungssymbol der Mittelschicht, weil der noch fährt, wo Opel schon am Straßenrand der Globalisierung liegen geblieben scheint.

H wie Heimwerker: Oberschicht lässt machen, Unterschicht lässt verwahrlosen – nur die Mittelschicht packt selbst an!

I wie „Ich heirate eine Familie“, wie der Titel schon sagt: DIE Familienserie schlechthin, neben „Diese Drombuschs“ und „Die Wicherts von nebenan“. Thekla Carola Wied ist die Mutter der Mittelschicht und Peter Weck der Adoptivvater.

J wie „Ja!“: Das Bekenntnis zur Ehe als Gottes Stiftung auf Lebensdauer und stärkste Ausdrucksform des Willens zur Fortpflanzung der, äh, Mittelschicht.

K wie Kunstdrucke: Gerne von Rosina Wachtmeister; verbindet Kultur mit Sparsamkeit, Kunst mit Druck.

L wie Lokalzeitung: Da steht alles drin, was die Mittelschicht wissen muss: Wann kommt die Müllabfuhr, wer ist tot, wer lebendig und wer krieg ’nen Orden?

M wie Märklin: HO oder TT, das ist hier die Frage! Der Konzern meldete 2009 Insolvenz an. Und ging der Mittelschicht voran.

N wie Normalverbraucher, Otto: Netter Kerl, aber auch sein letztes Hemd hat keine Taschen.

O wie Oesterreich: Die naheliegende Variante zu Italien. Praktischerweise reden die da auch Deutsch, irgendwie. Es gibt Eis, Berge und Schunkelmusik.

P wie Punk: Ohne Langeweile wäre die Mittelschicht nicht sie selbst. Ohne den Versuch, daraus auszubrechen, auch nicht. Die Eltern-Version des P. ist der Partykeller. Im Partykeller läuft Pur. Da muss man zum P. werden.

Q wie Quelle: Das Internet der Mittelschicht. Im Konsumschlaraffenland blättert die Hausfrau sich die Finger wund.

R wie Reihenhaus: Die alleinstehende Villa ist dekadent, die Mietskaserne prekär – das Reihenhaus ist bausparverträglich.

S wie Swingerclub: Die dunkle Seite der Mittelschicht, wenn alles andere nicht mehr hilft, die Langeweile zu ertragen.

T wie Tanzkurs: Anbahnung oder Erhaltung des Glücks mit dem eigenen Partner.

U wie Unterschicht: Wenn es so weitergeht, bald der Nachfolger der Mittelschicht. Die guckt auch schon mal fleißig alle TV-Sendungen, die eigentlich für die U. produziert wurden.

V wie Verein: Von vielen genutzte Alternative zu Tanzen und Swingen, wobei es dann schon Golf, Volleyball oder Tennis sein sollte.

W wie Wintergarten: Das Fenster zur Freiheit. Und das Schaufenster der Nachbarschaft. Nett, um Kunstdrucke aufzuhängen.

X wie Xylophon: Von der Leyen, Oberschicht, ließ die Familie geigen. Die Hausmusik der Mittelschicht ist da wesentlich bodenständiger. X. gibt’s auch beim Sandmännchen.

Y wie Yps: Für die Kinder. Damit die was lernen. Spielerisch, klar.

Z wie Zweitwagen: Für die Mama. Muss künftig den Bus nehmen. DAZ, DAS, FRA