Raus aus dem Elfenbeinturm

Bei seiner Gründung vor 40 Jahren war das „Institut für die Geschichte der deutschen Juden“ in Hamburg Deutschlands erste Forschungseinrichtung für deutsch-jüdische Geschichte. Die ist an der Elbe besser erforscht als vielerorts sonst, nach dem besten Weg zum Publikum aber wird weiter gesucht

von ELLEN KÖHRER

Ein vornehmer Geist weht durch die Hamburger Rothenbaumchaussee. In der Nachbarschaft Anwälte, Makler, ein plastischer Chirurg, das Curio-Haus, das sich 1911 die „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“ errichten ließen. Hier, im so genannten Grindelviertel, lebte 1925 noch jeder siebte Hamburger Jude. Haus Nummer 7 ist ein rotbrauner Klinkerbau mit verschnörkeltem Erker. „Institut“ steht bescheiden auf dem Klingelschild aus poliertem Messing.

In der Eingangshalle betreten Besucher kostbaren Mosaikboden, Marmorintarsien verzieren die Wände. Hier ist das Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) zu Hause, die erste derartige Forschungseinrichtung in Deutschland. Gerade hat es seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert – stilgerecht mit einem Empfang im Rathaus.

Bei Gründung des Instituts lagerten in den Magazinen des hamburgischen Staatsarchivs reichhaltige Aktenbestände der Hamburger Jüdischen Gemeinde – unausgewertet. Erklärtermaßen wollte das IGdJ das Erbe der deutschen, insbesondere der Hamburger Juden bewahren: 9.000 waren in der Stadt ermordet worden, weitere 10–12.000 vertrieben. Außerdem sollte der in den 60er Jahren wieder aufkommende Antisemitismus bekämpft werden. Ein Forschungsauftrag, so betonte es der erste Direktor Heinz Moshe Graupe, der durchaus Stoff für mehrere Mitarbeiter biete – und für mehrere Jahre.

Stefanie Schüler-Springorum, seit fünf Jahren Direktorin des IGdJ, holt Kaffee und Sprudel und bittet in den Konferenzsaal mit dem langen Tisch. Denn auf dem abgewetzten Lounge-Chair von Charles Eames, sagt sie, kämen sich die Besucher immer vor wie beim Arzt. Dank des Instituts, erklärt Schüler-Springorum stolz, „hat Hamburg die am besten erforschte jüdische Gemeinde in Deutschland“. Deren Gründer waren aus Portugal und Spanien stammende sefardische Juden, allesamt Händler, die sich im 16. Jahrhundert in der Hansestadt niederließen. „Hamburg heute ist die Stadt mit den meisten portugiesischen Cafés, das hängt wohl damit zusammen“, vermutet Schüler-Springorum. „Forschungslücken“, gibt sie zu, habe man noch „in der Wirtschaftsgeschichte der Hamburger Juden“. Die Direktorin selbst forscht über das Judentum im 20. Jahrhundert, insbesondere jüdische Jugendbewegungen und die Täter-Opfer-Beziehungen während des 2. Weltkrieges und danach.

In Forscherkreisen ist das Institut, eine Stiftung bürgerlichen Rechts, die von der Stadt Hamburg finanziert wird, bekannt. Enge Kontakte bestehen nach Israel, Großbritannien und in die USA. Gerade arbeitet der israelische Historiker Jacob Barnai aus Haifa für acht Monate in Hamburg. Es kommen aber immer wieder auch ganz normale Besucher in die Rothenbaumchaussee, im vergangenen Jahr waren es 1.550, davon rund 100 aus dem Ausland.

Institutsbibliothekarin Alice Jankowski öffnet den Tresor mit den Kostbarkeiten, einen grauen Aktenschrank im Flur. Braune Pergamentbuchrücken stehen dicht an dicht. Im untersten Regal lagert der Videorekorder. Der älteste und kostbarste Band, ein Kommentar zur Thora in Hebräisch, illustriert mit wundervollen Stichen, wurde 1523 in Venedig gedruckt.

Herzstück des Instituts ist die Präsenz-Bibliothek. Mit ihren 42.000 Bänden im Wert von mehreren Millionen Euro gehört sie hierzulande zu den großen Spezialsammlungen zur deutsch-jüdischen Geschichte. Wer sie sucht, findet sie in den Büros der Mitarbeiter um den ovalen Lichthof herum, sogar in der Küche stapeln sich die Bände in raumhohen Holzregalen. Für die Besucher gibt es nur zwei kleine Leseräume. Neben der Bibliothek unterhält das IGdJ ein kleines Archiv mit etwa 2.000 Abbildungen. Darin enthalten ist beispielsweise die „Sammlung Randt“ mit Fotos zum jüdischen Schulwesen in Hamburg.

„Unser Auftrag heißt wissenschaftliche Forschung mit wenig Ausstrahlung nach außen“, sagt Stefanie Schüler-Springorum. Die Direktorin möchte raus aus dem Elfenbeinturm. So kooperiert sie mit den Hamburger Geschichtswerkstätten oder dem Kommunalen Kino „Metropolis“ und bietet öffentliche Vorträge an. Gerade dabei „ist unser Publikum bisher 60 und älter“, sagt Schüler-Springorum. „Das wollen wir ändern.“ Auch mehr Zusammenarbeit mit den Hamburger Schulen würde sie begrüßen. Allein, es fehlen die Kapazitäten: Die drei Wissenschaftler des IGdJ sind ausgelastet, unterrichten nebenbei unentgeltlich an der Hamburger Universitat.

Für die eine oder andere Publikation reicht es: Zum 40-jährigen Bestehen hat das Institut ein Nachschlagewerk herausgebracht, „Das Jüdische Hamburg“ (siehe Kasten). Und im Herbst erscheint ein Begleitbuch zu den „Stolpersteinen“, die der Künstler Gunter Demnig seit über zehn Jahren zur Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus in bundesdeutschen Gehwegen versenkt.

Im nächsten Jahr soll umgezogen werden, dazu zwingen Sparmaßnahmen und beengte Räumlichkeiten: Die 42.000 Bände der Bibliothek sind in der Rothenbaumchaussee kaum mehr zu lagern. Also zieht man wie die „Forschungsstelle für Zeitgeschichte“ in ein ehemaliges Finanzamt. Dort, so Schüler-Springorum, erhofft man sich eine größere Nähe zu den Studierenden – und ein breiteres Publikum bei Veranstaltungen.