LESERINNENBRIEFE
:

Forschung und Lehre sind unfrei

■  betr.: „Der Bund muss Umsatzsteuer abtreten“, taz vom 9. 6. 10

In dem Interview mit Sachsens Kultusminister Wöller vermisse ich kritische Fragen: Keine Nachfrage, warum der Herr Minister gegen staatliche Bildungsangebote ist, die mit der Steuerzahlung abgegolten sind. Gratis sind diese Angebote ja nicht! Ganz einfach: Da gibt es dann keine Profitmöglichkeiten für private Bildungsanbieter mehr.

Keine Nachfrage, warum weniger Geld in die Hochschulen und mehr Geld in die staatliche Kleinkindererziehung gesteckt werden soll. Es gibt halt immer weniger Kinder und somit fällt weniger auf, dass einfach nur die Bildungsausgaben gekürzt werden. Und zugleich wird die Hochschulforschung immer abhängiger von der Drittmittelforschung im Auftrag der Industrie, und diese Forschungsergebnisse können nicht mehr frei veröffentlicht werden. Eine kritische Forschung wird so unterbunden.

Ach ja, die Unternehmenssteuern wurden massiv gesenkt, von Rot-Grün und der großen Koalition, und nun fehlt das Geld auch für die Bildung! Was tut der Kultusminister, um dem Artikel 5 Grundgesetz, Freiheit von Forschung und Lehre, Geltung zu verschaffen? JENS NIEMANN, Hamburg

Hegemoniale Selektionsideologie

■  betr.: „Bildungsdemos vor dem Bildungsgipfel“, taz vom 10. 6. 10

Der Bildungsstreik kann und muss mehr sein, als eine Klientelbewegung von Studierenden, Schülern und Auszubildenden. Wenn man von den konkreten Forderungen abstrahiert, dann wendet sich der Protest einfach gegen den neoliberalen Umbau des Bildungssystems, der mit der Bolognareform einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Er wendet sich gegen die Ausweitung des Leistungs- und Selektionsprinzip auf den Bildungssektor. Diese Debatte wird in den Medien nicht geführt, stattdessen guckt man mit leichter Schadenfreude auf die rückläufige Anzahl der Demonstranten. Doch gerade für ein neues linkes Projekt 2013 ist die Frage, wie man linke Politik in einer Gesellschaft machen kann, in der „Leistungs- und Selektionsideologie“ hegemonial sind. Die Bildungsstreiker müssen ihre gesellschaftspolitischen Grundwerte in den Mittelpunkt rücken, sie müssen klar zu ihrem gesellschaftspolitischen Anspruch stehen, denn nur dann können sie ihren eigenen Idealen gerecht werden, und es sind im Herbst wieder Hunderttausende auf den Straßen.

Dass dieser gesellschaftspolitische Anspruch besteht, lässt sich leicht herausfinden, wenn man einen Blick auf den Aufruf zum Bildungsstreik 2010 wirft: „Ein ganz anderes Lernen und Leben ist möglich – und nötiger denn je!“ Hier bleibt nun die Frage, warum sich die Gesellschaft scheut, die Vision des Bildungsstreiks aufzunehmen und zu diskutieren, statt ihn zu belächeln. Vielleicht weil er den Fetisch der Leistungsgesellschaft infrage stellt oder vielleicht nur, weil man sich das Bild der „pragmatischen Generation unter Druck“ erhalten will. Irgendwann muss und wird diese Debatte aber geführt werden, und je später es dazu kommt, desto radikaler und schmerzhafter wird es, wenigstens dass sollten wir von 68 gelernt haben. JAN DAVID BAKKER, Tübingen

Absicht als Schlamperei getarnt

■  betr.: „Landwirtschaft: Der Genmais-Skandal“, taz vom 8. 6. 10

„Absicht oder Schlamperei?“, fragt die taz zum neuen Genmais-Skandal, traut sich aber nicht, den Verdacht weiter zu verbalisieren. Das raffinierte und rhetorisch wohlverpackte Kalkül, das uns derzeit in Sachen Sparprogramm und Atomtrickserei vorgeführt wird, legt den Verdacht auf eine als Schlamperei getarnte Absicht auch in Sachen Gentech-Agrar- bzw. Industriepolitik nahe: Durch eine schleichende Kontamination soll der widerspenstige Bürger in Bälde resignieren („Es ist ja doch überall drin, dann kann’s auch Genfood sein“), womit sich dann endlich Genfood verkauft, der DAX steigt und die Steuerkassen klingeln. Hallo wachsam, Bürger! SABINE MIEHE, Marburg

Verantwortlich handeln

■  betr.: „Kraftstoffmenge erneut nach oben korrigiert“,taz vom 11. 6. 10

Im normalen Leben ist jeder für sein Handeln verantwortlich und muss für seine Fehler geradestehen. Dies gilt nicht nur im gesamten Rechtswesen, sondern in allen Lebensbereichen und wird schon Grundschulkindern nahe gebracht. Dort, wo die finanziellen Folgen schwer zu überschauen sind, hat man die Möglichkeit, sich eine Versicherung zuzulegen. Diese schätzt das Risiko kritisch ab und legt die Beitragshöhe fest. Über diesen Weg wird all das schon im Vorfeld unrentabel, was nicht zu verantworten ist. Dieser marktwirtschaftliche Grundsatz ist derzeit für einige Großkonzerne außer Kraft gesetzt. Dort haftet der Steuerzahler letztendlich für Risiken und Fehler. Der Profit ist privatisiert, der Verlust ist sozialisiert – eine enorme Subventionierung der ohnehin Reichen. Dies gilt gleichermaßen für Tiefseebohrungen mächtiger Ölkonzerne wie für die Endlagerung von Atommüll mächtiger Energiekonzerne wie für die Fehler mächtiger Finanzkonzerne. In diesen drei Bereichen droht nun, dass die Steuerzahler mit hunderten Milliarden für Fehler haftbar gemacht werden, die andere zu verantworten haben. Um diese enormen Steuergelder einzutreiben, werden Kürzungen vorgenommen, die den Zusammenhalt ganzer Gesellschaften und nicht nur den sozialen Frieden in Frage stellen. Solange wir nicht endlich den einfachen Grundsatz beherzigen, dass jeder für die Folgen seines Handelns verantwortlich ist, gerät diese Welt immer mehr aus den Fugen und nicht nur in der Asse und im Golf wird unsere Zukunft vergiftet. KURT LENNARTZ, Aachen