Anthropologische Büdchen-Studie

Sieht gut aus. Zu kaufen gibt es nichts: Der „WM Erfrischungspavillon“ im Dortmunder Ostwall Museum

Der Vertreter eines Süßwarenherstellers war schon da. Passanten haben bereits ihr Portemonnaie gezückt, während sie aufs hölzerne Podest gestiegen sind. Doch der „WM Erfrischungspavillon“ im Dortmunder Ostwall Museum reflektiert nur die soziale Funktion des Kiosks für den Stadtraum und ist bloß ein nichtfunktionales Implantat. Zu kaufen gibt es da – auf den zweiten Blick – natürlich nichts.

Tatsächlich sieht alles ganz real aus: Die gestreifte Markise, die Eisreklame, das bunte Durcheinander der ordentlich gestaffelten Leckereien. Dazu Türme aus Schnapsfläschchen neben der Tamponpackung und eine Schachtel mit Eßpapier. Neben dem Hinweis auf die durchgehenden Öffnungszeiten das handgeschriebene Schild: „Bin gleich wieder da“. Und dies wird während der gesamten Laufzeit der Ausstellung auch so bleiben. Andrea Knobloch, Inke Günther und Jörg Wagner, die drei Künstler, die auf Einladung des Museums für die Ausstellungsreihe zum Thema Stadtraum das Konzept des falschen Büdchens ersonnen haben, stehen tatsächlich gar nicht hier, um Sachen zu verkaufen. Vielmehr bieten sie in einer regelmäßig stattfindenden Veranstaltungsreihe eine Vielzahl verschiedener Aktivitäten an – reichhaltig wie das Angebot der kleinen, vollgestopften Verkaufshalle. Nächste Woche etwa das live-kommentierte Fußballspiel Brasilien : Japan oder eine geführte Büdchen-Fahrrad-Einkaufstour. Vorträge und Performances finden statt – während der WM vornehmlich und naheliegenderweise zum Thema Fußball, danach zum Büdchen – die lokale Tradition im Visier.

Eingeschrieben in die Architektur wie auch in die Konzeption des Kunstmuseums ist der „WM Erfrischungspavillon“ Zeichen für die komplexe Vielfalt seiner Bedeutungen, Funktionen und einer sozialen Dynamik, die eng mit der regionalen Alltagskultur der Städte im Rhein-Main-Gebiet verbunden ist. „Der Kiosk ist dichtes Angebot auf engstem Raum, ist anachronistisch wirkende ökonomische und zugleich soziale Nische im Stadtraum (...,) heimelige Örtlichkeit für eine Stammkundschaft, der andere soziale Bezüge abhanden gekommen sind (...)“. So sehen das die Künstler. Auch wenn die durchgehend geöffnete und mit einem immer größeren Produktangebot aufgepeppten Tankstellen den Büdchen inzwischen Konkurrenz machen, so bleiben deren soziale und formale Gestalt doch weitgehend erhalten – solange Menschen noch täglich Zeitungen lesen.

Die skulpturale, nur einsehbare Installation im Außenraum wird im Innern des Museums ergänzt durch den vergleichsweise leeren Raum, der im Bedarfsfall für die verschiedenen Veranstaltungen möbliert wird. Er übernimmt die kommunikative Funktion des Büdchens. Das Konzept, welches dem Kiosk-Projekt unterliegt, könnte als anthropologische Stadtarchäologie auf die soziologischen Dimensionen des Büdchens konzentriert werden und wäre schon für sich höchst interessant. Mindestens ebenso schön aber ist das synästhetische Erlebnis. Denn die geruchsintensiven Erinnerungen an die süße Tüte und das klebrig-zuckrige Eis, Lakritz-Konfekt und Bierfahne bleibt draußen vor der Scheibe. Das formale wie das konzeptuelle Design der Büdchen-Parabel im Ostwall-Museum öffnet einen Raum, der das tatsächliche Leben nicht ausblendet.

KATJA BEHRENS

Bis 17. August 2006