Der chinesische Boom weckt Begehrlichkeiten

WIRTSCHAFT Während die Exporte um 48 Prozent steigen, fordern immer mehr Arbeiter höhere Löhne

PEKING taz | Der Euro schwächelt, die amerikanische Finanzkrise nimmt kein Ende – doch Chinas Wirtschaft erholt sich mit Riesenschritten: Allein im Mai stiegen die chinesischen Exporte um 48,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr und erreichten mit einem Wert von rund 109 Milliarden Euro wieder das Vor-Krisen-Niveau, wie Pekings Zollamt bekannt gab. Die Importe stiegen ebenfalls um 48,3 Prozent. Die OECD rechnet in China für dieses Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 11 Prozent.

Zugleich haben steigende Preise in China und enttäuschte Hoffnungen auf ein besseres Leben inzwischen dazu geführt, dass die Streikbereitschaft von Arbeitern in den Industriezonen wächst. Der taiwanische IT-Gigant Foxconn, berüchtigt durch eine Selbstmordserie junger Arbeiter, hat die Basislöhne für einen Teil seiner rund 680.000 Beschäftigten auf dem chinesischen Festland um 30 Prozent auf rund 243 Euro erhöht und will sie ab 1. Oktober noch einmal um 66 Prozent anheben. Foxconn-Chef Terry Gou erwägt mittlerweile, einen Teil der Produktion auf die Insel Taiwan zurückzuverlagern, wenn die Löhne in China weiter steigen.

Auch anderswo regt sich Protest: In der südchinesischen Stadt Foshanzhongsan setzten am Freitag rund 500 Beschäftigte eines Werkes, das Schlösser für den japanischen Autokonzern Honda herstellt, ihren Streik fort. Ihre Forderung, das Grundgehalt von 108 auf 205 Euro monatlich zu erhöhen und eine 42-Stunden-Woche einzuführen, wurde bisher nicht erfüllt.

In den vergangenen Monaten hatten bereits zahlreiche Provinzen und Großstädte höhere Mindestlöhne für ihre Region angekündigt. Chinas Zeitungen und das Internet berichteten in den vergangenen Tagen ungewöhnlich ausführlich über die Streiks bei Honda und mehreren Firmen in taiwanischem Besitz. Dabei erschien der Lohnkonflikt nicht so sehr als „Störung öffentlicher Ordnung“, sondern als Ausdruck einer legitimen Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Lohnkonflikte bei chinesischen Staatsunternehmen allerdings bleiben in der Regel tabu. Bei der KP in Peking wächst die Einsicht, dass der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten Bruttosozialprodukt bislang viel zu gering ist und das Land weiterhin zu stark vom Export abhängt. JUTTA LIETSCH