Rad schlagende Farbräusche

Mit Malerei bauen: Die Bilder von Richard Jackson wollen mehr als nur ein Fleckchen an der Wand. Die F. C. Flick Collection stellt seine raumgreifenden Konzepte vor, teils allerdings nur als Modell, und verpasst den großen Wurf

Eine schräge Idee, zugegeben, entwickelt sich als erste Überlegung angesichts des begehbaren Farbraums „Big Ordeals (Große Torturen)“ von 1985 in den Rieckhallen der F. C. Flick Sammlung. Die große Arbeit von Richard Jackson verblüfft durch verpopptes Action Painting. Hat also der Maler ausgerechnet Jackson Pollock durch die Pop- und ein bisschen auch durch die Op-art-Mühle gedreht, weil so ein grellbunter Jackson Jackson entstand und eine geheime Genealogie aufgedeckt wurde, die der gemeinsame Vor- beziehungsweise Nachname stiftet?

Tatsächlich ist die Ausgangslage einfacher. Richard Jackson, 1939 in Sacramento, Kalifornien geboren, kam als junger Künstler gar nicht umhin, sich mit dem Abstract Expressionism und Jackson Pollock auseinander zu setzen. Richard Jackson interessierten dabei besonders der Malprozess selbst und die Frage nach der Art der Entscheidungsfindung beim Malen. Das Zufallskalkül des Dripping erweiterte er um ein mathematisches Kalkül, das auch der großen, vor Ort in den Rieckhallen ausgeführten Wandmalerei zugrunde liegt. Dafür gruppierte er frisch bemalte Leinwände mit ihrer Farbseite zur Wand, befestigte sie an einem genau definierten Punkt und drehte sie dann um 45 bis 360 Grad: Wie ein Pinsel übertrugen sie dabei ihre Farbe auf die Wand. Anschließend fixierte er die Rahmen am Endpunkt der Bewegung. Unvollendete, durch die Leinwandblöcke teils verdeckte farbige Kreise ziehen sich nun über die Wand und erinnern an all die Zielscheiben, die die jüngere Kunstgeschichte kennt.

Das Ganze bedarf einer peniblen Planung, und diese Planung betrachtet Richard Jackson als seine eigentliche künstlerische Tätigkeit. Das ausgeführte Werk ist nur die temporäre Dokumentation, so sagt Jackson, wie er „seine Zeit mit dem Malen als Job“ verbringe. Keinesfalls ist es ein herkömmliches, sich selbst genügendes Kunstwerk.

Kaum verwunderlich, dass Richard Jacksons künstlerischer Werdegang anhand einer traditionellen, chronologischen Abfolge von früheren Werken unmöglich nachgezeichnet werden kann. Denn diese Exponate existieren nicht mehr. Sie hätten übrigens ernormen Platz beansprucht, denn Jackson arbeitet seit den 60er-Jahren kontinuierlich an der Erweiterung der Malerei. An seinem Stammplatz an der Wand wird das Gemälde ja nicht nur besonders herausgestellt, sondern auch schlicht aus dem Weg geräumt. Jackson dagegen betrachtet die Malerei, genauer: die bemalten Leinwände, gerne als Baumaterial. So plant er, ungeheure Mengen noch feuchter Leinwände so aufeinander zu stapeln, dass sie eine Mauer bilden, die mal kreis-, mal treppenförmig ansteigt. Die Entwurfskizzen („Untitled, Modell II beziehungsweise Modell III for 5050 Stacked Paintings“, 1998) sind nun im Hamburger Bahnhof zu sehen, realisieren aber konnte er die Projekte bislang noch nicht.

Eine schräge Idee, zugegeben, aber hätte diese „Big Idea“, wie Jackson seine Pläne ironisiert, nicht in Berlin uraufgeführt werden können? Schräg, weil die Staatlichen Museen bekanntlich ja kein Geld haben? Leider kam dem eine andere große Idee in die Quere, mit knapp 6 Millionen Euro galt es kürzlich Erich Marx zu beschwichtigen, damit Andy Warhols „Big Electric Chair“ in Berlin bleibt. Trotzdem hätte die zweite Einzelausstellung der Flick Collection ruhig etwas großartiger ausfallen können als die vorherige von Urs Fischer. Warum nicht mal klotzen, statt immer nur zu kleckern?

Wo so großspurig angefangen wurde, wie erklärt sich da die plötzliche Bescheidenheit? Immerhin geht es um den ersten größeren Museumsauftritt des DAAD-Stipendiaten von 1979 in Deutschland. Da hätte Flick ruhig mal seine Schätze ausbreiten dürfen, besitzt er doch ein umfangreiches Konvolut aus Zeichnungen, Planskizzen und Pappmodellen für raumgreifende Installationen, Wandmalereien und sauber konstruierte Malmaschinen, denen zuletzt Jacksons Interesse gilt. Eine davon existiert sogar und befindet sich in der Sammlung Flick. Aber auch „Deer Beer“ (1998), ein motorbetriebenes Karussell, auf dem in Form eines amüsanten Bruce-Nauman-Zitats übereinander gestapelte Hirsche die Farbe an die Wände kotzen und scheißen, blieb im Depot.

BRIGITTE WERNEBURG

Bis 13. August, Di. bis So. 10–18 Uhr, Do. bis 22 Uhr, Museum der Gegenwart, Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50–51, Katalog: Heft 5/2006