Stopp für neue Ölfelder

NORWEGEN Es wird vorerst keine Genehmigungen mehr für Ölbohrungen in tiefer See geben. Umweltverbände fordern mehr als eine Vertagung

Stockholm taz | Das Öldesaster im Golf von Mexiko hat die norwegische Regierung veranlasst, die Notbremse zu ziehen. Es werde vorerst keine neuen Genehmigungen mehr für die Ölprospektierung in tiefen Gewässern geben, teilte Energieminister Terje Riis-Johansen am Dienstag mit. Außerdem werde die Entscheidung über die Erschließung neuer Ölfelder vor den Lofoten und Vesterålen sowie in der Barentssee, die eigentlich in diesem Herbst fallen sollte, auf 2011 vertagt. Erst einmal sollten die Untersuchungen über die Ursachen des „Deepwater Horizon“-Unglücks abgewartet werden. Denn schließlich habe man vor der norwegischen Küste im Prinzip die gleichen Sicherheitsvorschriften wie im Golf von Mexiko.

„Was dort passiert ist, hätte also auch hier passieren können“, erklärte Umweltminister Erik Solheim am Dienstag auf einer Konferenz zum Ölthema in Svolvær, der größten Stadt auf den nordnorwegischen Lofoten. Um die Ölvorkommen vor dieser Inselgruppe tobt seit Jahren ein heftiger Streit zwischen der Erdöllobby und Umweltschutzorganisationen. Ein Streit, der auch quer durch die rot-rot-grüne Regierungskoalition geht. Hier hatten die Sozialdemokraten vorwiegend mit Arbeitsplatzargumenten und unter Verweis auf die langsam versiegenden Nordseeölquellen für einen Beginn der Ölprospektierung plädiert. Wobei Umfragen nun signalisieren, dass auch bei bisherigen Befürwortern angesichts der Katastrophe im mexikanischen Golf ein Umdenken einsetzt.

„Eine Katastrophe von biblischen Armageddon-Ausmaßen“ würde ein Blow-out wie bei „Deepwater Horizon“ nach Einschätzung des Umweltministers vor der Küste der Lofoten verursachen. Ein Drittel der norwegischen Küste könnte betroffen sein. Und damit nicht nur ein touristisches Kleinod, sondern auch einige der weltweit reichsten Kabeljau- und Heringsbestände. Daneben eine bedeutende Walpopulation, große Kolonien von Seevögeln und das weltweit größte Revier von Kaltwasserkorallen. Derart „enorme Folgen“, so Solheim, der der sozialistischen Linkspartei angehört, dürfe man nicht hinnehmen.

Schließlich sei der BP-Konzern, der jetzt beim Versuch der Eindämmung der Ölflut Mal für Mal scheitere, „keine kleine Hinterhofklitsche in irgendeiner Bananenrepublik“, und die USA seien immerhin „die avancierteste Industrienation der Welt“. Bei einem vergleichbaren Unglück hätte Norwegen nicht einmal annähernd die Möglichkeit, entsprechende Ressourcen aufzubringen, die nun im Golf von Mexiko zur Anwendung kämen. Die Lehre, die der Abgeordnete Solheim zieht: „Wir können den bisherigen Risikoanalysen und den davon abgeleiteten Sicherheitsvorschriften nicht mehr trauen.“

Umweltschutzorganisationen ist das zu wenig. Das fragliche Meeresgebiet vor den Lofoten und Vesterålen sowie in der Barentssee müsse endgültig vor allen Ölbohraktivitäten geschützt werden, fordert Rasmus Hansen vom WWF-Norwegen : „Die Norweger müssen sich entscheiden, ob ihnen nur das Öl wichtig ist.“ Und auch die Umweltschutzorganisation Bellona fordert mehr als eine bloße Vertagung: „Das ist das wichtigste Umweltthema überhaupt in unserem Land.“

Oljeindustriens landsforening, die Arbeitgeberorganisation der Ölbranche, warnt derweil vor „Panikmache“. Man könne nicht einfach die Erfahrungen vom mexikanischen Golf auf Norwegen übertragen. Es sei zwar wichtig, Lehren zu ziehen, aber „Deepwater Horizon“ dürfe „nicht unsere Bedürfnisse überschatten“, meint auch die energiepolitische Sprecherin der konservativen Oppositionspartei Høyre, Siri Meling.

„Die Branche ist jetzt angeschlagen, wird aber keine Ruhe geben, die fraglichen Ölfelder doch zu öffnen“, befürchtet Lars Haltbrekken, Vorsitzender des norwegischen Naturschutzverbands Norges Naturvernforbund: „Wir haben die Schlacht noch vor uns.“ REINHARD WOLFF