Witz will gewinnen

Jason Scotland gibt den Schotten einen Anlass, an der WM teilzunehmen, und verschafft Trinidad und Tobago eine zusätzliche Anhängerschar

AUS ROTENBURG RONALD RENG

Am vergangenen Montag hörte Schottland im Radio, dass es trotz verpasster Qualifikation an der Weltmeisterschaft teilnimmt. Schottlands offizielles WM-Lied war erschienen. „Die Hoffnung ist nah“, rief der Refrain aus dem Radio: „Wir können auch diesmal Schottland anfeuern: Scotland, Scotland!“ Das schottische WM-Team 2006 hat allerdings einen Vornamen und besteht aus nur einem Spieler: Jason Scotland.

Es begann als Witz in der BBC-Radioshow „Off the Ball“ von Stuart Cosgrove. „Can Scotland win the World Cup?“, fragte Cosgrove: „Ich meine Jason Scotland, den Stürmer von Trinidad und Tobago.“ Daraus, erzählt Cosgrove am Telefon, „ist ein richtiges Phänomen geworden.“ Es gibt (Jason)-Scotland-WM-T-Shirts, die schottische Limonade Irn-Bru wirbt als offizieller (Jason)-Scotland-WM-Sponsor und die größten (Jason)-Scotland-Fans sind die Zeitungsredakteure, die keinen Tag ohne Wortspiel vergehen lassen: „Scotland ready to beat England.“ Dass Trinidad in einer Gruppe mit Schottlands Erzrivalen England spielt, gibt dem Spaß noch mehr Feuer. „Ach was“, sagt Cosgrove, „ich brauchte noch nie einen Extragrund, um gegen England zu sein.“

Das Scheitern von Schottland und auch Irland in der Qualifikation war ein herber Schlag, gewiss nicht für den Fußball, aber doch für die Stimmung der WM: Dem Turnier in Deutschland würde etwas fehlen, ohne ihre ausgelassenen Fans. Aber nun zeigt sich, dass Gott sei dank auch den schottischen Fans etwas fehlen würde ohne WM. Sie werden zumindest in kleinen Gruppen zu Trinidads Spielen reisen. Könnten andere Fans auf solch eine Idee kommen? Mit jedem tragischen Scheitern ihrer Nationalelf scheinen die schottischen Anhänger origineller zu werden. Es muss an England liegen. Unter Englandfans setzte sich irgendwann die Idee fest, für England sein, heiße, sich für England zu prügeln. Weil sie immer das genaue Gegenteil vom Alten Feind sein wollen, streben schottische Fans danach, die Fröhlichsten zu sein.

„Die Schotten sind einzigartig“, sagt die komplette schottische Mannschaft dieser WM beim Exklusivgespräch nach dem Training in Rotenburg im Niemandsland zwischen Bremen und Hamburg. „Wobei“, Jason Scotland öffnet die Hand und zeigt auf den Sportplatz hinter sich. Dort stehen immer noch 3.000 deutsche Fans; gekommen um ein Training von Trinidad zu sehen: „Die Schotten sind verrückt, aber was seid ihr Deutschen? Wahnsinn! Es ist so schön hier.“

Er ist ein kleiner Mann mit breiter Brust, Jason Scotland, 27, honiggoldende Fußballschuhe, Farbe stolzer Stürmer, 25 Spiele für Trinidad, fünf Tore, man sieht ihm die Freude an der Trickserei schon an. Er ist vermutlich der erste Fußballer, der bei einer WM zwei Länder repräsentiert. „Nein“, sagt Jason Scotland da auf einmal sehr ernst, „ich spiele nur für ein Land, und das heißt Trinidad und Tobago.“ Er hat zwiespältige Gefühle für Schottland.

Seit drei Jahren spielt er dort, zunächst für Dundee United, sein Tor gegen Hibernian brachte sie 2005 ins Cupfinale, seit dieser Saison für Saint Johnstone in der zweiten Liga, und er genießt die fröhliche Wertschätzung, die er auf einmal erfährt. Aber er wird „immer noch wütend, wenn ich daran denke, dass ich vergangenes Jahr schon aus der Tür war“. Er landete im August 2005 in London-Heathrow, zurück von seinem Sommerurlaub, und die Zöllner verweigerten ihm die Einreise. Er habe keine Arbeitserlaubnis mehr.

Ausländische Profifußballer müssen in Großbritannien nachweisen, dass kein Brite ihre Arbeit besser machen kann, dazu hat das Innenministerium extra eine Kommission ehemaliger Profis berufen. Und die befand, Scotland sitze zu viel auf der Ersatzbank. Dafür hatten ihn die Zeitungen doch immer gepriesen: Dundees Superjoker, der von der Bank kam und traf. Zehn Stunden hing Scotland in Heathrow fest, dann durfte er mit einem Touristenvisum einreisen. Später rettete ihn der FC Saint Johnstone. „Ich stand vor dem Ende meiner Karriere, das vergisst du nicht.“

Das Geschrei der deutschen Fans hinter ihm schwillt an. Innenverteidiger Marvin Andrew läuft hysterisch winkend vorbei. Er joggt heute nur, wegen seinem Knie. Sein Kreuzband ist kaputt, seit 15 Monaten, doch er weigert sich, es operieren zu lassen. Aus religiöser Überzeugung: „Gott wird es heilen.“ Trinidad scheint ein wahrhaft schottisches Team, jedenfalls in seiner Exzentrik.

„Unsere Taktik?“, fragt unterdessen Jason Scotland zurück, „meine Taktik oder die vom Trainer?“ Er lacht gern. Für ihn persönlich wird es darum gehen, im ersten Spiel am Samstag gegen Schweden in die Startelf zu kommen. Eine Nation fiebert mit ihm. Unlängst war wieder ein großes Porträtfoto von ihm in einer schottischen Zeitung. „Schottlands offizielles WM-Mannschaftsfoto“, stand darunter.