AM DENKMAL
: Marx für Italiener

Haben sie Angst, dass ein Foto mit Marx bei Facebook landet?

Gegen Berlusconi kämpfe ich am Marx-Engels-Denkmal. Dahin bringe ich italienische Reisegruppen als Stadtführer. Thema DDR-Geschichte und so, das gehört zum Touri-Programm. In Wahrheit geht es aber an dieser Stelle der Tour um mein persönliches Umerziehungsprogramm: Ich will Italiens Gesellschaft von Berlusconis Gehirnwäsche befreien. Dafür muss ich erst alle anderen Touris verscheuchen, indem ich mich neben Marx stelle und den Italienern sage, sie sollen doch näher kommen. Anders als andere Touristen haben viele Italiener Angst, sich mit den Vätern des Kommunismus fotografieren zu lassen.

Zwanzig Jahre Berlusconi-TV zeigen Wirkung: Das Schlimmste der Welt sind Kommunisten, und wer nicht Berlusconis Meinung ist, ist so ein Kommunist. Deswegen stehe ich am Denkmal, setze mein lässigstes Stadtführer-Gesicht auf, lege meine Hand auf die von Marx und sage: Das ist einer der meistfotografierten Orte Berlins. Ich lächle. Deute auf Marxens Finger, der glänzt, weil Leute aus aller Welt ihn anfassen. Sage: Wenn ihr auch Fotos machen wollt, macht nur! Dann räume ich den Platz und gucke gelassen woandershin.

In Wirklichkeit aber beobachte ich aus den Augenwinkeln, was passiert. Und sehe, dass niemand sich rührt. Verstohlen schießt der ein oder andere ein Foto, vom Denkmal ohne Italiener. Vielleicht haben sie Angst, denke ich, dass ein Foto mit Marx bei Facebook landet, und dann steht da, der ist Kommunist, und er verliert Job und Freunde.

Dabei habe ich auch erlebt, wie italienische Schulklassen das Denkmal von Weitem sahen, hinrannten, die „Internationale“ sangen und schließlich zusammen mit ihren Lehrerinnen vor Engels’ Beinen posierten. Trotz Berlusconis Gehirnwäsche. Es lassen sich wohl nicht alle Italiener umerziehen.Weder von Berlusconi noch von mir.

GIUSEPPE PITRONACI