Betrug im Behindertenverband

Der Gründer und Geschäftsführer einer gemeinnützigen Tagesstätte zur Pflege von Behinderten hat über Jahre hinweg Gelder veruntreut. Gestern musste sich der 43-Jährige vor Gericht verantworten

VON UTA FALCK

Eigentlich hatte es Andreas M. nur gut gemeint. Immerhin war er es, der 1990 den Verein „Geist und Natur“ gegründet hatte. Wenig später baute er die Kaspar Hauser Tagesstätte (KHT) auf, wurde Geschäftsführer von insgesamt vier Einrichtungen zur Pflege und Betreuung geistig und körperlich behinderter Menschen. Dann wurden die Tagessätze für die Betreuung der Behinderten gekürzt, sodass die Tagesstätte Mindereinnahmen von 5 Prozent verkraften musste. Ab 1999 muss sich Andreas M. gesagt haben: „Es ist zu viel.“ Zu viel Arbeit, zu viel Verantwortung. Andreas M., „der Ideengeber, der Initiator“, so beschreibt ihn sein Anwalt, beschloss, das fehlende Geld auf andere Weise zu besorgen: Gestern musste sich der 43-Jährige wegen Betrug und gewerbsmäßiger Untreue vor der 5. Großen Strafkammer verantworten.

Damals hatte er gehört, dass das Finanzamt problemlos Kosten für Reisen und Honorare akzeptiert. Über 350.000 Euro habe er eigenen Angaben zufolge zwischen 1999 und 2004 dafür ausgegeben. Tatsächlich verwendete er das Geld für Treueprämien sowie zur Honorierung von Mehrarbeit. Das Geld floss ohne Quittungen. Die Tagesstätte sparte sich damit die Sozialversicherungsbeiträge, und weil alle Beteiligten was davon hatten, gab es auch keinen Protest. Am Ende hätten 46 Mitarbeiter Quittungen von insgesamt 356.483 Euro unterzeichnet – für „Reisen und Honorare“. Bei den Ermittlungen kam die Staatsanwaltschaft jedoch bloß auf 81.000 Euro, die an seine Mitarbeiter gingen. Den Rest muss Andreas M., der sein Gehalt als unangemessen gering empfand, wohl für sich verwandt haben, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.

Ein weiterer Anklagepunkt widmete sich der an die KHT vercharterte Segelyacht, dessen Eigentümer Andreas M. war: Schwer erziehbare Jugendliche sollten die Erfahrung von Gemeinschaft auf engem Raum machen. Doch das Projekt „Schule auf See“ kam nie zustande. Trotzdem gingen etwa 7.500 Euro auf sein Konto.

Ähnlich muss es mit einem Ferienhaus in Griechenland gewesen sein, das die KHT mit öffentlichen Geldern in Höhe von 90.000 Euro gemietet hatte. Und der Trick mit dem Gartenhaus der Familie M., das für 18.000 Euro angeblich zur Beherbergung von KHT-Gästen genutzt wurde. Sogar die Reinigungskraft der KHT, so fand die Staatsanwaltschaft heraus, putzte nicht nur die Tagesstätte, sondern auch seine Privaträume. M. räumte ein, dass er wahrscheinlich 79.000 Euro für private Zwecke veruntreut habe.

Die Vorstellungen über das richtige Strafmaß gingen bei Staatsanwaltschaft und Verteidigung anfangs sehr weit auseinander. 418 Einzelfälle ergäben rechnerisch eine Strafe von 200 Jahren, fand der Staatsanwalt. Doch weil Andreas M. alle Vorwürfe gestand, hatten sich beide Seiten im Vorfeld des Prozesses auf eine Höchststrafe von vier Jahren und sechs Monaten geeinigt. Die wird der bislang Unbescholtene nun im offenen Vollzug verbüßen.