„Nur eine persönliche Entscheidung“

SOTSCHI Die Absage Joachim Gaucks zeigt die deutsche Uneinigkeit im Umgang mit Moskau

BERLIN taz | Ist das nun ein politisches Signal oder nicht? Der Spiegel war sich in seiner Meldung vom Sonntag noch sicher, wie die Nichtteilnahme von Bundespräsident Joachim Gauck an den Winterspielen in Sotschi zu bewerten sei: „Die Absage ist als Kritik an den Menschenrechtsverletzungen und der Drangsalierung der Opposition in Russland zu verstehen“, schrieb das Magazin. Gauck hatte in der Vergangenheit mehr Rechtsstaatlichkeit in Russland gefordert.

Eine Sprecherin des Bundespräsidialamts dementierte umgehend gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: Dies sei nicht als Boykott zu interpretieren. 2010 habe der damalige Bundespräsident Horst Köhler auch auf die Reise zu den Winterspielen in Vancouver verzichtet.

Ungeachtet dessen meldeten sich am Montag die Befürworter und Gegner einer härteren Gangart gegenüber Russland zu Wort. „Das ist ein gutes Signal. Mit seinem Besuch der Spiele würde er das System nur aufwerten“, sagte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament, Barbara Lochbihler (Grüne). Der Sprecher von Human Rights Watch (HRW) Deutschland, Wolfgang Büttner, sagte der FAZ, dies sei „ein besonders starkes Zeichen“. HRW hatte zuvor die Sponsoren der Spiele zu einer deutlichen Positionierung gegenüber russischen Menschenrechtsverstößen aufgefordert.

Eher zurückhaltend kommentierten dagegen Bundesregierung und SPD die Absage. Regierungssprecher Steffen Seibert wollte die Entscheidung Gaucks nicht bewerten. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte im Hessischen Rundfunk, die Absage Gaucks sei „weder ein Boykott noch ein Boykott-Aufruf“, sondern ein Signal. Es handele sich um „eine persönliche Entscheidung des Bundespräsidenten“.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil, Vizevorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe, äußerte sich skeptisch: „Ein Besuch der Olympischen Spiele hätte auch eine Gelegenheit geboten, um Gespräche mit Reformkräften in Russland zu führen“, sagte er der Welt. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte dagegen den Boykott der Winterspiele durch die gesamte deutsche Politik. Ob Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Sotschi fahren wird, ist offen. MARTIN REEH