EHRE DER SUBSTANZ
: Tal der Lächerlichkeit

Eine Kunst, die nichts behandelt oder fordert

Joey saß auf seinem Stein und dachte nach über die Equilibristen und ihren biologisch abbaubaren Modellstaat im türkisblauen Südpazifik, den sie in mit kaltgepresstem Palmöl betriebenen Learjets anfliegen wollten. Er wurde das Gefühl nicht los, dass es einen Zusammenhang gab zwischen den schwärmerischen Ideen der Ökoutopisten und seiner, Joeys Vorstellung einer sich selbst schaffenden und abschaffenden Kunst.

Römisches Besitzrecht, Zinsen, politische Systeme, längst überholt, sagten die freundlichen Equilibristen. Befindlichkeiten, Kunstbegriff, Kontextkunst, alles bedeutungslos, bellte Joey. Getreidesack, Tal der Lächerlichkeit. Dem Ding, dem Gerät huldigen, bis es Energie absondert. Der Substanz die Ehre erweisen, bis sie anfängt zu reden.

Joeys Gralshüter waren der Almödi Heidegger und der Pferdeflüsterer Nietzsche. Heidegger mit seinem drolligen Kitschidiom, Nietzsche mit seiner kindischen Märchenphilosophie. Texte und Sprachen, die sich selbst sprechen. Eine Kunst, die nichts behandelt oder fordert, schon gar keine Erwartung oder Erwiderung. Bombardement als Effekt. Die richtige Bombe aufs richtige Ziel und dann los, Revolution! So ungefähr stellte Joey sich das vor.

Nur dass die Wirklichkeit wie immer noch explosiver war: Inspiriert durch die Kernwaffentests auf dem vom Weltumsegler Otto von Kotzebue kartografierten Atoll im einstigen Deutsch-Neuguinea hatte der Maschinenbauingenieur Louis Réard sein neu erdachtes Badekostüm 1946 beworben als „der Bikini – die erste anatomische Bombe“. Und tatsächlich, der Bikini rief in etwa die gleiche moralische Entrüstung hervor wie die Atombombenversuche der Amerikaner. Und Réard sagte: Der Bikini ist so mini, dass er alles über seine Trägerin enthüllt. Bis auf den Geburtsnamen der Mutter. SASCHA JOSUWEIT