Teach me laughter, save my soul

Ein Besuch auf Helgoland zum 80. Geburtstag des Kinderbuchdichters James Krüss

Den Flughafen von Büsum kann man schon mal übersehen, so groß ist der nicht. Es wäre aber schade drum, denn der Tower von Büsum, der nicht viel mehr Platz einnimmt als ein zweistöckiger Zeitungskiosk, beherbergt freundliche Menschen. Der rundköpfige, entspannte Herr am Schalter, bei dem man Flugscheine nach Helgoland kaufen kann, bietet einen Zehnerblock an. Fliegen auf Zehnerkarte, das ist ja wie Sommer im Freibad.

An der Einfahrt zum niedlichen Flughafen hatte ein Bauer gestanden und landwirtschaftliche Produkte angeboten: Kartoffeln, Gemüse und hausgemachte Fleisch- und Wurstwaren, darunter auch eingelegtes Sauerfleisch. Er lädt zum Probieren ein, es ist sehr gut. „Ja“, sagt er, „und macht auch nicht dünn.“

Die Maschine aus Helgoland ist gelandet, nun geht es retour, inselwärts. Das Flugzeug hat, den Piloten mitgerechnet, Platz für zehn Menschen. Etwas älter ist das kleine Transportmittel auch schon. Flugängstliche können sich hier im Schockverfahren heilen: Wer in so eine Rumpelbüchse steigt, lässt die Angst zurück. Die zweimotorige Propellermaschine macht ordentlich Geräusch, der Pilot ist völlig lässig, das Flugzeug schaukelt sich auf 1.000 Fuß hoch, die fünf Passagiere kucken auf die unter ihnen sich kabbelig bewegende See, sehen Sandbänke und sogar Seehunde und Robben. Nach 20 Minuten landet die Maschine auf der Helgoländer Düne, man fährt noch ein bisschen Kleinbus und Fähre, und dann betritt man Helgoland, den Geburtsort des Dichters James Krüss.

Zu Krüss’ 80. Geburtstag am 31. Mai 2006 lud seine Nichte, Kirsten Rickmers-Liebau, als Vetreterin der Krüss-Erben. Das üppige Werk des großen Humanisten und Kinderbuchschriftstellers Krüss soll neu entdeckt und geehrt werden. Schüler von James-Krüss-Schulen haben Aufführungen seiner Texte vorbereitet, Musiker und Sängerinnen Vertonungen seiner Gedichte einstudiert, Krüss-Illustratoren zeichnen live vor Publikum, Verleger und Freunde sind da, es gibt Lesungen in der kleinen Gemeindebücherei und im noch kleineren Helgoländer Standesamt, das in einer ehemaligen Hummerbude untergebracht ist. Es ist ein buntes Holzhäuschen, in dem die Hummerfangkörbe aufbewahrt wurden, als vor Helgoland noch nennenswerte Mengen Hummer gefangen wurden.

Hummer sind hier längst äußerst rar geworden, jetzt fängt man Taschenkrebse, deren Scheren, die Knieper = Kneifer, aus gutem Grund hart gepanzert sind: Sie enthalten köstliches Krebsfleisch. Die gastfreundliche Familie Rickmers-Liebau lädt die ganze Krüss-Feier-Gesellschaft ein, die Knieper werden im Licht der Dämmerung verzehrt, auf der Insel ist gerade Stromausfall. In seiner „Historie von der schönen Insel Helgoland“ dichtete James Krüss: „Irgendwo ins grüne Meer / Hat ein Gott mit leichtem Pinsel, / Lächelnd, wie von ungefähr, / Einen Fleck getupft: Die Insel. // Und dann hat er, gut gelaunt, / Menschen diesem Fels gegeben / Und den Menschen zugeraunt: / Liebt die Welt und lebt das Leben!“ Man beachte den Dativ: Nicht den Menschen gab Gott den Felsen Helgoland, sondern er gab, umgekehrt, diesem Felsen Menschen. Die Reihen- und Rangfolge ist also klar.

Doch wer hört schon auf einen Dichter? Helgoland, statt als kleines Paradies betrachtet zu werden, wurde zweimal zur militärischen Festung ausgebaut, mit bösen Folgen für die Helgoländer: Bei Kriegsausbruch im August 1914 wurden sie zwangsevakuiert. Auch Hitler und seine Admiräle wollten von Helgoland aus die Deutsche Bucht strategisch kontrollieren. Der Größenwahn endete mit dem Bombardement am 18. April 1945; an diesem Tag hatten einige Helgoländer unter Anführung von Eäk Fink die Besatzung Helgolands überwältigen und die Insel den Alliierten kampflos übergeben wollen. Die Männer wurden verraten und in Cuxhaven exekutiert. Nach der Bombardierung mussten die Helgoländer ihre Insel verlassen. 1947 versuchte das britische Militär vergeblich, Helgoland mit dem „Big Bang“ einfach wegzusprengen und benutzte die Insel als Bombenabwurfübungsplatz. Erst 1952 kehrten die Helgoländer zurück.

Es wundert nicht, dass James Krüss, bei aller Leichtigkeit und Entspanntheit seiner Texte, zeit seines Lebens ein glühender Antimilitarist war. Der auch ein Mittel wusste gegen militärische Gemeinheit, das er in „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ aufschrieb: „Teach me laughter, save my soul“ – lehre mich lachen, rette meine Seele.

Die Krüss-Feierlichkeiten enden mit einem langen bunten Abend in der Helgoländer Nordseehalle. Anderntags fährt wegen des stürmischen Wetters kein Schiff. Aber ein einmotoriges viersitziges Flugzeug fliegt, es ist noch viel lütter als der Zehnsitzer vom Hinflug. Pilot und Vertrauenerwecker ist ein blonder Friesenriese. Sicher landet er in Büsum. Im Tower steht ein rundköpfiger Herr, der James Krüss ähnlich sieht. Er winkt freundlich. WIGLAF DROSTE