Wunsch nach Normalität

In Kinshasa interessiert die EU-Truppe wenig. Die Menschen wollen einen Staat, der funktioniert wie alle anderen

AUS KINSHASA ALEX VEIT

Normalerweise drängt sich auf dem „Boulevard 30. Juni“, der Prachtstraße im Zentrum der kongolesischen Hauptstadt, eine Mischung aus gebrauchten Edelkarossen deutscher Herkunft, Allradfahrzeugen der internationalen Organisationen und überfüllten rollenden Schrotthaufen, in die sich die Mehrheit der Stadtbewohner zwängt. Jetzt aber wirkt die eine Seite der sechsspurigen Verkehrsader wie ausgestorben. Keine Abgaswolken, kein Gehupe, kein Sammeltaxifahrer, der auf den Gehweg ausweicht, um einen Stau zu umgehen.

„Diese Politiker machen, was sie wollen!“, schimpft Taxifahrer Michaux, als der Grund für die ungewohnte Ruhe deutlich wird. Vor einem Restaurant ist die Straße durch Pick-up-Jeeps mit aufmontierten Maschinengewehren gesperrt, an denen lässig Soldaten mit schwarzen Sonnenbrillen lehnen. Offenbar sichert die Leibgarde eines der vier Vizepräsidenten des Kongos das Gelände, während ihr Chef zu Mittag isst. Sehr zum Unmut der Autofahrer, die nun im Stau stecken und ein Hupkonzert veranstalten. „Das ist doch nicht normal“, grummelt Michaux.

Normalität, ein Staat, der funktioniert wie alle anderen: Das ist die wichtigste Erwartung der Kongolesen an die ersten freien Wahlen seit der Unabhängigkeit 1960, die nach vielen Verschiebungen nun am 30. Juli durchgeführt werden sollen. Die Demokratische Republik Kongo, sagen viele Kongolesen, ist das einzige Land der Welt, das sich einen Präsidenten und vier Vizepräsidenten aus rivalisierenden Fraktionen leistet, und das sei nicht „normal“.

Aber der Weg zu mehr Normalität ist umstritten. Kongos größte Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt), die die Wahlen boykottiert, fordert neue Verhandlungen über die politische Zukunft des Landes, denn ihrer Meinung nach muss die jetzige Regierung am 30. Juni abtreten. Dieses Datum wurde im Friedensvertrag vor drei Jahren festgeschrieben. Doch inzwischen ist eine neue Verfassung in Kraft, die eine Übergabe der Amtsgeschäfte an eine gewählte Regierung durchaus auch zu einem späteren Zeitpunkt zulässt – oder auch nicht. Jeden Abend streiten Vertreter der verschiedenen Strömungen in TV-Talkshows darüber. Die lebendige Debatte in der Hauptstadt, so wenig sie sich auch mit den offensichtlichen Problemen des Kongos beschäftigt, ist vielleicht der erste Erfolg der beginnenden Demokratie.

Inwieweit sich die mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigte Mehrheit damit befasst und Protestaufrufen folgt, ist eine andere Frage. „Überall heißt es, die Opposition werde am 30. Juni Chaos auslösen“, kommentiert der Journalist Raphael Kiwongi. „Aber der Wahlkampf beginnt bereits kurz vorher. Die Kandidaten werden Bier, Essen und T-Shirts verteilen. Wenn die Opposition losmarschiert, wird sie auf eine feiernde Stadt treffen.“

Ob mit Bier und Baumwollhemden auch die Wahlen entschieden werden können? Für Kongo ist der Urnengang eine unbekannte Übung. Wie wird die Bevölkerung in den ländlichen Regionen abstimmen, die kaum Zugang zu Massenmedien hat? Werden bekannte Politiker gewählt oder neue Gesichter? Welchen Einfluss haben die Frauenorganisationen, aus denen unabhängige Kandidatinnen hervorgegangen sind? Wird nach ethnischen oder parteipolitischen Erwägungen abgestimmt?

Allgemein werden dem jungen Staatsoberhaupt Joseph Kabila große Siegeschancen zugeschrieben. Seine Partei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Demokratie) hat als einzige im ganzen Land Gliederungen. Sehr zum Missfallen der Hauptstädter, die gerne unterstellen, „der Westen“ habe bereits entschieden, dass der „Ja-Sager“ Kabila gewinnen werde.

Über alternative Kandidaten und Strategien gibt es in Kinshasa aber keinen Konsens. Kräfte der Zivilgesellschaft halten den früheren Zentralbankchef Pierre Pay-Pay oder den Wirtschaftsprofessor Vincent Lunda Bululu für aussichtsreiche Kandidaten. Diese Politiker wüssten kongolesische Interessen in Verhandlungen mit Gebern über den ökonomischen Wiederaufbau zu verteidigen. Doch das ist Spekulation.

Derweil ist Alexandre de Bordelius, Mitglied des EU-Militärstabs der EU in Brüssel, in Kinshasa eingetroffen, um Aufklärung über die Ziele der anstehenden europäischen Militärintervention zu den Wahlen zu liefern. „Die Kongolesen wissen bislang wenig darüber“, sagt der Offizier der französischen Armee. „Es kursieren viele Gerüchte, dass wir nur kommen, um die natürlichen Ressourcen zu plündern.“ Bislang hält sich das Interesse kongolesischer Medien an ihm allerdings in Grenzen: Bis auf einen Fernsehsender verlangten kaum lokale Journalisten nach Gesprächsterminen.

„Die seit längerem bestehende EU-Polizeihilfe wird verstärkt, um der kongolesischen Polizei im Umgang mit zivilen Unruhen zu helfen“, erklärt Bordelius mögliche Einsatzszenarien. „Die nun geplante militärische Intervention besteht aus Kampftruppen, die Störmanöver bewaffneter Kräfte von vornherein unterbinden werden.“ In diesem Zusammenhang schließt er einen Einsatz auch im unruhigen Osten des Kongos nicht aus. „Dies entspricht aber nicht der Logik des Einsatzes.“