Das Papstwunder von Auschwitz

Zum Abschluss seines viertägigen Polenbesuchs besucht Papst Benedikt XVI. das ehemalige deutsche Konzentrationslager Auschwitz. Zuvor fordert der von Tausenden umjubelte Pontifex in Krakau erneut Glaubenstreue und Standfestigkeit ein

AUS KRAKAU UND AUSCHWITZGABRIELE LESSER

Es war der Moment, auf den alle gewartet hatten: Papst Benedikt XVI. ging durch das Auschwitz-Tor mit der berüchtigten Inschrift „Arbeit macht frei“. Allein. So war es sein Wunsch. Allein als Oberhaupt der katholischen Kirche. Allein als Deutscher. Allein als Mensch mit seinen ganz privaten Gedanken und Gefühlen. Er ging vorbei am einst elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun, an den roten Ziegelbaracken bis zum berüchtigten „Block 11“. Hier hatten die Nazis im Zweiten Weltkrieg tausende Widerstandskämpfer erschossen, die meisten von ihnen katholische Polen.

Vor der Todeswand warteten Überlebende. „Ist das nicht ein Wunder, dass ich 64 Jahr nach der Erschießung meiner Freunde, hier im Freien stehe? Außerhalb der Todeszelle?“, fragt August Kowalczyk (85), Auschwitz-Häftling mit der Nr. 6.804. „Es hätte mich damals genauso erwischen können. Aber ich hatte Glück, ich konnte fliehen.“ Dass er mal einem deutschen Papst die Hand reichen würde, hätte er nie für möglich gehalten. „Die Deutschen, das waren doch meine Verfolger, die Nazis. Aber dieser Deutscher ist nun Oberhaupt der Katholischen Kirche.“

Am Sonntagmorgen hatte Benedikt XVI. noch eine Freiluftmesse in Krakau gehalten. Über eine Million Gläubige waren auf die Blonia gekommen, die „großen Wiesen“ an der Weichsel. Anders als noch in Warschau unterbrachen die meist jungen Leute die Messe immer wieder mit begeistertem Klatschen, lauten Rufen – „Wir danken dir!“ oder gar „Wir lieben dich!“

Der 79-jährige Joseph Ratzinger lächelte verlegen, freute sich aber über die ungewohnten Begeisterungsstürme. Dabei forderte er wie schon bei seiner ersten Freiluftmesse in Warschau vor zwei Tagen Glaubenstreue und Standfestigkeit ein.

Die Jugendlichen in Krakau aber waren fest entschlossen, ihren „Benedeto“ so zu behandeln wie einst ihren geliebten „Lolek“ aus Wadowice bei Krakau. Als der nicht wiederzuerkennende „Panzerkardinal“, wie der deutsche Papst vor seinem Besuch in Polen genannt wurde, den Gläubigen zurief: „Das Krakau von Karol Wojtyła ist auch mein Krakau“, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Ratzinger stieg von seinem Papstthron herab und drückte Hände und sagte immer wieder voller Rührung auf Polnisch: „Dziekuje. Ich danke euch.“

Tags zuvor hatte Joseph Ratzinger die wichtigsten Lebensstationen Karol Woytyłas vor dessen Wahl zum Papst besucht – seinen Geburtsort Wadowice bei Krakau, danach Kalwaria Zebrzydowska, die Kalwarienberge, zu denen Karol mit seinem Vater zu den Passionsspielen gepilgert war, schließlich Lagiewniki und die Barmherzigkeitsbasilika. Hier hatte der Theologiestudent Wojtyła, der in den nur 100 Meter entfernten Solvay-Oetkjer-Werken Zwangsarbeit leisten musste, oft Zuflucht gesucht.

Dass Benedikt XVI. einen Tag vor seiner Visite im Nazi-KZ Auschwitz die Barmherzigkeitsbasilika besuchte, hatte für viele Polen besondere Symbolkraft. Am Abend, kurz vor oder nach der Jugendmesse in Krakau, erfuhr der Papst allerdings, dass in Warschau der Oberrabbiner Michael Schudrich in der Nähe der Synagoge überfallen und leicht verletzt worden war. Mit ihm wollte er sich am Sonntag im ehemaligen Nazi-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau treffen. Geplant waren ein gemeinsames Gebet.

Zwar meinte ein Sprecher des polnischen Innenministeriums sofort, dass es sich um eine Provokation handeln müsse und es wohl darum gehe, Polen in der internationalen Presse als antisemitisches Land zu brandmarken. Dass die jüdische Gemeinde schon seit Jahren darauf drängt, die antisemitische Buchhandlung und den Rechtsradikalentreffpunkt im Kellergewölbe der Allerheiligenkirche gegenüber der Warschauer Synagoge zu schließen, erwähnte jedoch weder das Ministerium noch einer der verantwortlichen Bischöfe.

Dass der Papst am Ankunftstag seiner Pilgerreise am Ghettodenkmal einfach vorbeigefahren war, hatte viele Juden in Polen enttäuscht. Im Bus der Jüdischen Gemeinde Krakau machten sich einige lautstark Luft: „Er braucht sich nicht für den Holocaust zu entschuldigen, aber er soll sich würdig verhalten“, meinte Simcha Keller, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinden Polens.