HAMBURGER SZENE VON UTA GENSICHEN
: Die Milch macht’s

Der Mann stammelte, wahrscheinlich hatte er nicht verstanden. „K-U-H-M-I-L-C-H“, wiederholte sie laut. „Muuh!“

Als ich in meinem Wandsbeker Stamm-Biosupermarkt um das Müsli-Regal herumwanderte, da hörte ich sie: eine leibhaftige Ökomoralistin. Lebende Exemplare dieser Spezies sind selten geworden. Sie verschwanden mit der Bio-Etikettierung der Nahrungskette. Nun, da ich das große Glück hatte, die Moralistin zu treffen, spitzte ich meine Ohren.

Ich tat so, als würde ich Brotaufstriche studieren. Ab und zu packte ich etwas in den Wagen, ein Glas Zwiebelschmalz oder Rucola-Senf zum Beispiel. In Wahrheit aber lauschte ich dem Sirenengesang der Kundin hinter mir. Sie stand am Milchregal. Neben ihr ein klappriger Mann um die 80. Er hatte einen weißen Karton in der Hand und war im Begriff, diesen in seinen Korb zu legen, als die Ökomoralistin losbellte.

„Das wollen sie doch wohl nicht im Ernst kaufen“, fauchte sie den sichtlich verwirrten Mann an. „Das ist ja Kuhmilch!“ Ihr blankes Entsetzen konnte ich nicht sehen, aber sehr wohl hören. Der Greis stammelte etwas, wahrscheinlich hatte er nicht verstanden. „K-U-H-M-I-L-C-H“, wiederholte sie laut. „Muuh!“

Von Kuhmilch werde man sehr krank, erklärte sie und griff in den Einkaufskorb des Verstummten, nahm den Karton heraus und legte ihm eine Packung Sojamilch hinein. „Die ist besser“, sagt sie zum Abschluss. Und der Mann ganz höflich: „Danke, vielen Dank!“