Speisen wie die Chinesen

Ein Besuch in der jüngst neu gestalteten Geschirrsammlung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. Erster Teil: Die Fayencen – oder: Als die Europäer noch kein Porzellan brennen konnten

von Petra Schellen

Er grinst schon recht martialisch. Obwohl er natürlich tot ist und überhaupt nicht mehr gefährlich. Und wenn man bedenkt, dass ein solches Objekt im Mittelalter noch aus echtem Tierfell bestand, kann man sich glücklich schätzen, dass der hier vor einem liegende Eberkopf aus reiner Fayence ist. Möglichst naturalistisch liegt er – als Terrine mit Deckel konstruiert – auf einer großen Platte, die bemalt ist mit Eicheln, des echten Ebers Nahrung. Den Rand des Untertabletts ziert sorgsam modelliertes Eber-Haar.

Eine eindrucksvolle Demonstration der Fayence-Kunst des 18. Jahrhunderts, die das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe in seiner jüngst neu gestalteten Fayence- und Porzellansammlung präsentiert. Und wer weiß schon, dass die schlichtere, gröbere Fayence – Nachahmung des seit dem 17. Jahrhundert importierten chinesischen Porzellans – vor der Erfindung des europäischen Porzellans im Jahr 1710 den Markt beherrschte, weil die Chinesen ihre Rezepturen nicht preisgaben? 1.200 Jahre nach den Chinesen erst hatten die Europäer Materialmischung und Brennvorgang des Porzellans ergründet.

Angeregt durch die im niederländischen Delftshaven – dem heutigen Rotterdam – anlandenden China-Importe, hatten Kaufleute und Adlige schnell Gefallen am chinesischen Porzellan gefunden. Das allerdings war rar und teuer, und man suchte nach preisgünstigen, möglichst einheimischen Imitaten. Etliche Manufakturen wurden daher – zunächst in den Niederlanden – gegründet, die nicht zuletzt die heimische Wirtschaft stärken sollten. Und wenn auch Fayence keine so feine Modellierung erlaubt wie Porzellan, passten die Imitate chinesischer Formen und Motive doch gut zur seinerzeit grassierenden China-Begeisterung, die sich nicht aufs Geschirr beschränkte.

Auch die Tatsache, dass die europäischen Kopisten die chinesischen Motive oft nicht verstanden und Bambus, Pergolen und Blumen nach Gutdünken neu sortierten, tat der Begeisterung wenig Abbruch. Später gab es dann auch europäische Motive – Blumen und Biblisches. Vorbilder waren oft Gemälde oder Stiche, die eigens hierfür gefertigt wurden.

Und hätten nicht niederländische Fayence-Maler und -modelleure im 17. Jahrhundert als Calvinisten die katholischen Niederlande verlassen müssen und ihr Wissen mitgenommen – es hätte noch etliche Jahre gedauert, bis die Fayence-Technik nach Deutschland gebracht worden wäre. Mit Hilfe dieser Handwerker und Künstler aber entstanden etliche Manufakturen in Hanau, Frankfurt, Berlin und Kassel. Obwohl dort etliche Spezialisten beschäftigt wurden, blieb die Bemalung der Fayencen schwierig: Nur wenige Farben – Blau, Violett, Rot, Grün und Gelb – hielten den hohen Brenntemperaturen stand.

Das Repertoire wäre also begrenzt geblieben, hätte es nicht die Hausmaler gegeben, die andere Brenntechniken kannten und differenzierte Schattierungen möglich machten. In Familienbetrieben arbeiteten diese Spezialisten, schufen hoch begehrte und teure Auftragswerke, die von Krügen bis zu Vasen reichten. Später erst wurden ihre Techniken von den Manufakturen aufgegriffen.

Wichtig für die Fayence-Kunst außerdem: die möglichst genaue Kopie der bläulich-weißen, in China üblichen Glasur, die die Manufaktur in Rouen ab 1710 – die Konkurrenz zum europäischen Porzellan begann – zur Perfektion trieb: Fein ziselierte Rankenmotive in Blau auf Weiß zieren deren Teller, am Rand in Bordüren auslaufend. Nebeneinander platzierte Teller demonstrieren in der Hamburger Schau die Wanderung dieses Motivs durch Europa. Auch eine ungenaue Kopie findet sich hier: Einer der Maler platzierte die Ranken spiegelverkehrt.

Und wenn schon von Besonderheiten der Hamburger Fayence-Sammlung die Rede ist, dann müssen zweifellos die Bischofs-Mitren erwähnt werden: große Trinkgefäße, die aus Kopenhagen und norddeutschen Manufakturen stammen. Ein Würzwein namens „Bischof“ wurde in ihnen serviert – eine Erfindung der Kopenhagener Papstgesellschaft, die sich in Weinstuben traf, um sich über die katholische Kirche lustig zu machen. Überhaupt sorgten die, denen daran lag, für eine stets üppige alkoholische Versorgung: Ein recht üppiges Bowlegefäß in Schiffsform findet sich gleich nebenan.

Mindestens genauso bizarr: die Tulpenvasen, die für jede der damals sehr wertvollen Blüten ein eigenes Einsteckloch vorsahen. Manche kamen als kugelförmige Vase daher, manche als mehrstöckige Pyramide, die Etage für Etage gewässert wurde. Was aus heutiger Sicht dekadent erscheinen mag, ergab damals durchaus Sinn: Nur auf diese Weise nämlich war die Symbiose der echten Blüte mit der gemalten – dem Blütendekor auf der Vase – erreicht. Und darüber hinaus eine Würdigung jedes Blüten-Individuums – schauten die kostbaren Gewächse doch wie Augen aus ihrer je eigenen Tülle hervor.

Die Fayence- und Porzellansammlung ist zu besichtigen während der üblichen Öffnungszeiten: Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Hamburg; Infos: www.mkg-hamburg.de.