Im Haus der Sklavenhalter

GROSSBRITANNIEN Im Londoner Stadtteil Brixton haben die Anwohner mitgekriegt, was in den anderen Wohnungen geschah. Aber man kümmerte sich nicht um die Nachbarn

Man könne hören, wenn andere Nachbarn Sex haben oder aber sich streiten

AUS LONDON DANIEL ZYLBERSZTAJN

Die Stadtwohnungen im Mietkomplex Peckford Place sind erst etwa sechs Jahre alt und waren der Stolz der Londoner Stadtautorität Lambeth, modern und behindertengerecht, inklusive Solarzellen auf dem Dach und Ökoholz als Fassade. Auch das Ehepaar, dass die drei Frauen gefangen hielt, wohnte seit ein paar Jahren hier.

Wer eine behindertengerechte Stadtwohnung in Großbritannien beziehen möchte, muss dafür einen Antrag stellen, der geprüft wird. Offiziell kannte man also das Ehepaar, dass in der Erdgeschosswohnung Peckford Place 10 lebte. Inzwischen wurde bekannt, dass die Stadtverwaltung schon vor 15 Jahren wusste, dass die Jüngste, sie ist heute 30, seinerzeit nicht zur Schule ging. Auch von den verdächtigen Eheleuten ist inzwischen bekannt, dass sie aus Indien und Tansania stammten und offenbar das letzte Mal vor 30 Jahren mit der Polizei zu tun hatten. Angeblich hätten sie zwei der späteren Sklavinnen vor ihrer Gefangenschaft gekannt und in einer Art Kollektiv mit ihnen gelebt.

Die Wohnung sieht verwahrlost aus. Der Vorgarten, vor dem nun zwei Polizisten Wache stehen, ist mit dichte Sträuchern vollkommen verwildert. Auf dem Balkon der zweistöckigen Wohnung steht ein Kühlschrank, daneben volle Taschen, dazu zwei aufgestapelte Gartenstühle und darüber eine Satellitenschüssel. Alle Fenster sind mit dicken Gardinen verdunkelt.

Viele Bewohner des Wohnkomplexes im Südlondoner Stadtteil Brixton wie Charles Agiji, 62, dachten, die Wohnung sei wegen des verwilderten Gartens unbewohnt. Auch die stets zugezogenen Vorhänge deuteten für ihn darauf hin. Agiji wusste bis jetzt nicht, dass all dies hier geschehen ist. Brixton hätte sich sehr zum Besseren gewandelt, bemerkt er. Früher habe es viele Einbrüche gegeben, aber in den letzten Jahren habe man glauben können, in einer guten Gegend zu leben. Und jetzt diese Horrorstory. Generell, erklären er und Cathy Clemens, 52, eine weitere Anwohnerin, gelte im Komplex, dass jeder sich hier um seine eigenen Sachen kümmert. Auch ein Hausmeister, der vielleicht die einzelnen Bewohner kennen würde und so eine Situation früher aufgeklärt hätte, fehle, sagen sie beide.

Neben und über der Wohnung, in der sich all das zugetragen hat, gab es Nachbarn. Das macht sie zu potenziellen Zeugen. Deshalb wollen sie ihre Story verkaufen. Der Mann in der Hinterhauswohnung im zweiten Stock besitzt Briefe und Fotos, die von der 30-jährigen Bewohnerin des Sklavenhauses an ihn gerichtet wurden und in seinem Briefkasten lagen. Die hat er samt der Geschichte Boulevardblättern wie dem Daily Express für 10.000 Pfund angeboten.

Auch ein junger Mann, ein 20-jähriger schwarzer Brite aus einer anderen Hinterhauswohnung mit der Nummer 10, erzählt, dass er mit seiner Frau und einem Kind direkt neben der Schicksalswohnung Wand an Wand wohnte. Mehrere Journalisten sind gerade in der Wohnung. Er könne versichern, dass in der Nebenwohnung sexueller Missbrauch stattfand, denn er habe oft Schreie und Geheule gehört. Auf die Frage, ob er sich wünschte, er hätte früher gehandelt, antwortet er: „Das ist Brixton hier, verstehst du! Ich höre stets Geräusche, Sirenen und Geschrei, aber man mischt sich nicht ein. Ich weiß, dass da in der Wohnung nicht alles okay war, sie waren seltsam!“

Gary Pearson, 34, ein Nachbar auf der anderen Seite im zweiten Stock desselben Wohnhauses, erklärt, er würde eigentlich kaum mit anderen Nachbarn reden, höchstens mit den Leuten gegenüber, genau die, welche sich jetzt von der Zeitung The Sun bezahlen lassen. Pearson verlangt hingegen nichts. Er schildert, wie hellhörig die Wohnung war. Man könne hören, wenn andere Nachbarn Sex haben oder sich streiten. Die Leute aus der Sklavenwohnung hätte er hin und wieder gesehen, besonders erinnere er sich an die jüngere Frau. Er beschreibt sie als durchgedreht. Sie sei immer total abgefahren und mit riesigen Augen herumgelaufen und nie ohne Begleitung.

Auf dem Brixton-Markt, fünf Minuten von dem Wohnkomplex entfernt, ist das Drama das Stadtgespräch. Ein Mann, der ein karibisches Restaurant führt, ist nicht überrascht. „Sklaverei gibt es immer noch überall, gerade in Indien mit den Kasten“, sagt er unter Verweis auf die Abstammung der Täter. Die Verkäufer eines Ladens in derselben Straße meinen, es könne nicht sein, dass jemand 30 Jahre in Gefangenschaft lebt und nicht fliehen könne. „Da ist etwas faul, entweder hat die Polizei versagt oder die Nachbarn haben geschwiegen.“