Die gut gemeinte Nudel

Am Dialog der Generationen haben sich schon manche die Zähne ausgebissen. Isabella Mamatis hat sich deshalb mit weichen Nudeln in ein Kiezprojekt gestürzt, das die soziale Isolation, vor allem der Alten, endlich knacken will

Dass man in der Bergmannstraße gut und ausgefallen essen kann, ist kein Geheimtipp. Am frühen Mittwochmittag aber staunten die Gäste in den Straßencafés und Bars nicht schlecht, als vor ihren Augen die Vorbereitungen für ein wirklich ungewöhnliches Menü begannen: 100 Tische und doppelt so viele Bierbänke wurden von zahllosen jungen Helfern ausgeladen und mitten auf der Straße zu einer 200 Meter langen Mittagstafel aufgebaut.

Während in den Cafés noch gewettet wurde, ob es sich um eine karitative oder ästhetische Maßnahme handelte, betraten die ersten Akteure die verkehrsberuhigte Zone. Ganze Schulklassen, hunderte von Kindern rückten mit Teller und Besteck an. Dahinter, langsam und die ganze Breite der Straße einnehmend, rollten alte Menschen in Rollstühlen heran.

Die Dramaturgie, die der Aktion zugrunde liegt, ist im besten Sinne des Wortes Kiezarbeit. Es geht darum, erklärt Isabella Mamatis, Schauspielerin und Regisseurin der „Langen Tafel“, die Generationen zusammenzubringen. Weil es sich beim Essen besser redet, hatte sie die ganz alten und die jungen Bewohner des Bergmannkiezes zu einem gemeinsamen Spagettiessen eingeladen. Die dialogische Mahlzeit ist Teil eines größer angelegten Vorhabens mit dem hochgesteckten Ziel, das Zusammenleben im Kiez dauerhaft zu verändern. Mamatis hofft, möglichst viele Projektemacher mit ihrer Idee anzustecken und zur Nachahmung zu animieren.

Die Klasse 7b vom Leibnizgymnasiums macht vor, wie es geht. Die Schüler geben auf professionelle Weise die Oberkellner. Zwar sind sie sich uneins, ob sie ihre weißen Kochmützen und die langen Bistroschürzen nicht eigentlich peinlich finden. Aber unermüdlich pendeln sie mit Servierwagen die 200 Meter zwischen Nostitz- und Zossenerstraße hin und her und verteilen kiloweise Nudeln und Tomatensoße auf die mehr als 500 Teller.

Mamatis, die am Kopf der Tafel auf ihre Spagetti wartet, ist dennoch ein bisschen unzufrieden. Für ihren Geschmack sitzt hier noch zu viel alt neben alt und junge Menschen haben sich am Tischmonument vor allem neben anderen jungen Menschen platziert. Man solle sich doch mal ein bisschen verteilen, ruft sie die Bergmannstraße runter. Vielleicht ist der Tisch einfach zu lang, um sie hören. Vielleicht sind die Gäste zu schüchtern. Kann aber auch sein, dass die Generationen auch mit Nudeln nur schwer zueinander finden und ein Essen allein nicht auflösen kann, was die Trennung der Generationen im Alltag eingeschliffen hat.

Das weiß natürlich auch Mamatis und hat an vorbereitende Kontakte gedacht. Während das Gespräch am Tisch nur schleppend in Gang kommt, kann man auf Zetteln, die am Straßenrand auf Wäscheleinen hängen, vom Erfahrungsaustausch im Vorfeld lesen. Da stehen kleine Geschichten und Erinnerungen, aufgeschrieben von Kinder aus den umliegenden Schulen, zum Zuhören in die benachbarter Altenheime geschickt: wie im Jahr 1929 Karstadt am Hermannplatz eröffnet hat oder wie in der Nachkriegszeit der Schwarzmarkt am Schlesischen Tor florierte. Dazu dudelt, dann doch etwas anbiedernd, aus einem Lautsprecher Harald Juhnke, und Hildegard Knef singt noch einmal von ihrer Sehnsucht nach dem Kurfürstendamm. Eine alte Dame wischt sich erst die rote Soße vom Kinn und tupft sich dann noch eine kleine Träne aus dem Augenwinkel.

Auch ringsum auf den Bürgersteigen sind die Cafébesucher gerührt. So was hat man noch nicht gesehen. Wenn sie jetzt noch ihre Tassen nehmen würden, um sich mit in die große Runde zu setzen, wäre die „Lange Tafel“ eine wirklich große Aktion geworden. So aber ziehen die meisten es vor, weiter auf Kunst oder Caritas zu wetten und ihren Café Latte allein zu trinken. Vorerst jedenfalls. WIEBKE POROMBKA