Viel riskiert – und fast verloren

Drama im Sparkassenmilieu: Um seinen Lebenswandel zu finanzieren, plünderte ein Filialleiter aus Lüneburg eigens eingerichtete Phantasiekonten und spähte Geheimnummern aus. Dann schnappte ihn die Polizei. Jetzt erhielt Christoph F. eine Bewährungsstrafe

Die Manipulationen flogen auf, als eine Angestellte bemerkte, dass 100 Konten an einem Samstag eröffnet wurden – da war geschlossen

Christoph F. ist ein Mann, der keine Illusionen mehr hat. Er rückt die randlose Brille zurecht, faltet die Hände vor sich auf dem Tisch und gibt ruhig Auskunft darüber, wie er sein Leben zugrunde richtete. Kurz zusammengefasst: Es ging alles sehr schnell. Erst stieg er in Windeseile zum Filialleiter einer Lüneburger Sparkasse auf, dann stürzte er ab zum Untersuchungshäftling und Angeklagten vor dem Hamburger Amtsgericht. Christoph F. braucht sich nichts mehr vorzumachen: Es ist vorbei.

Dann aber wird das Urteil gesprochen, und plötzlich erscheint das Leben wieder in anderem Licht: Christoph F. kommt aus dem Gefängnis frei. Das Amtsgericht verurteilt ihn zwar wegen fünf Hausfriedensbrüchen, zehn Computerbetrugstaten und 29 Urkundenfälschungen, durch die ein Gesamtschaden von über 200.000 Euro entstand – es aber spricht nur eine zweijährige Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Durch den gesellschaftlichen Absturz, argumentiert das Gericht, sei Christoph F. bereits hart bestraft. ,Sie haben viel riskiert. Und Sie haben verloren.“

Auf frischer Tat ertappte die Polizei den 33-Jährigen ertappt, als er am 3. Dezember 2005 mit einem fremden Schlüssel eine Filiale der Hamburger Sparkasse betrat, um Konten zu manipulieren. Vor Gericht ging es nur noch darum, ob er allein für seine Betrügereien büßen muss oder Bettine Sch. ebenfalls ihre Karriere beenden kann. Es war der Schlüssel seiner 39-jährigen Bekannten, mit dem Christoph F. sich Zutritt zur Bank verschaffte. Er sagte, sie habe ihm den Schlüssel geliehen. Sie sagt, er habe ihn geklaut. Das Gericht sagt: ,Im Zweifel für die Angeklagte“, und spricht Bettine Sch. frei.

Bettine Sch. war einmal die Geliebte von Christoph F., aber es dauert mehrere Verhandlungstage, bis das zur Sprache kommt. Er skizziert die Freundschaft eher als Geschäftsbeziehung, in der man sich gelegentlich traf, den Tatplan schmiedete und schließlich Freitag abends zur Schlüsselübergabe an einer Straßenecke nahe der Sparkassenfiliale verabredete. Sie dagegen erzählt eine Geschichte von kurzer Leidenschaft und schmerzvoller Distanz, von Rückfällen in intensive Gefühle und der abschließenden Ernüchterung, für Betrügereien missbraucht worden zu sein.

Bettine Sch. versucht verzweifelt, ihrem Leben etwas Glamour zu verleihen. Sie legt Glitzerpuder um die Augen. Sie trägt elegante Kleidung, ein lindgrünes Kostüm am ersten, dunkle Nadelstreifen am zweiten Verhandlungstag. Die Absätze ihrer Schuhe sind hoch und spitz, so ist ihre Haltung sehr aufrecht, auch wenn sie in den Pausen vor Nervosität kichert wie ein aufgeregter Teenager. Nicht nur das Gerichtsverfahren, das ganze Leben der Angeklagten spielt sich im spröden Bankenmilieu ab: Ihre Freunde, Bekannte – alles Kollegen. Ihr aktueller Partner, Carsten B., ist der Typ Bankangestellter im kurzärmeligen Oberhemd, der sein Leben im Kassenhäuschen verbringt. Für Bettine Sch. gab es offenbar nur einen einzigen Ausbruch aus ihrer begrenzten Welt – und der führte sie direkt auf die Anklagebank.

Christoph F. immerhin ist ein moderner Typ, der im Leben einiges ausprobieren wollte – Drogen zum Beispiel. Vor Gericht erzählt der Familienvater seine Wahrheit so ungeschminkt, als würde er über Bilanzen referieren: Kokainabhängigkeit und Geltungssucht führten zu einem Lebensstil, der mit seinem Gehalt nicht mehr zu finanzieren war. So begann er zunächst, seinen eigenen Laden auszunehmen. Christoph F. stellte auf Phantasienamen Konten mit hoher Kreditlinie aus, füllte dann Auszahlungsvordrucke aus und hob Beträge von mehreren tausend Euro in bar ab. Die Belege trugen seine Unterschrift, er war der Chef, wieso also hätte der Kassierer einmal nachfragen sollen? 39 Mal hat er Geld abgehoben, einmal 10.000 Euro, ein anderes Mal 22.000 Euro.

Vielleicht wäre man ihm niemals auf die Spur gekommen, hätte er nicht eines Tages im Internet ein technisches Gerät zum ,Abhören“ von Computern entdeckt. Dieses Gerät speichert, was über die Tastatur in einen Rechner eingegeben wird, Codewörter zum Beispiel. Christoph F. bestellte sich das Gerät. Dann besorgte er sich, auf welchem Weg auch immer, von Bettine Sch. den Sparkassen-Schlüssel. Drei Mal ging er damit heimlich in ihre Filiale, brachte die Wanze an einem Computer an, las die Zugangscodes ab loggte sich damit ein. Insgesamt 114 Konten richtete er auf Aliasnamen ein und bestellte dafür EC-Karten. Ehe er damit an den Bankautomaten gehen konnte, verhaftete ihn die Polizei. Die Manipulationen flogen auf, als eine Sparkassenangestellten bemerkte, dass mehr als 100 Konten an einem Samstag eröffnet worden waren – da haben Banken geschlossen. Christoph F. hat es im Leben immer sehr einfach gehabt. Auch jetzt kommt er mit einem blauen Auge davon. Er hat sogar schon ein Jobangebot, das er wahrnehmen wird, sobald er aus der Haft entlassen ist. So geht das Leben für ihn dann doch weiter wie zuvor. Auch für Bettine Sch. Ihre derzeitige Beziehung ist sehr wechselhaft, berichtet sie. ,Mir hat immer nur der Mann gefehlt. So bin ich an Christoph F. geraten“. ELKE SPANNER