Schandtat oder Fortschrittsprojekt?

Der Damm ist für viele im Westen zum Symbol einer rücksichtslos aufstrebenden Supermacht geworden

Über die Jahre abhanden gekommen ist jede Euphorie über das Projekt

PEKING taz ■ Man stelle sich das Jahr 2030 vor. Europa ist zum Reiseziel von jährlich Millionen Chinesen geworden, denen es besonders wichtig ist, ein bestimmtes Alpental zu besuchen, weil sie es aus einem in China populären Roman kennen. Doch die EU-Regierung schließt das Tal für Besucher, weil sie an dem Ort das größte Atomkraftwerk der Welt errichten lassen will. China ist empört, auch weil man die neue europäische Atomtechnik für gefährlich hält. Wer hat Recht?

Ein solcher Blick in die Zukunft mag helfen, die längst über ihre ökologische Dimension hinausgehende Debatte zwischen China und dem Westen um den Drei-Schluchten- Damm zu verstehen. Der Damm ist für viele westliche Beobachter zum Symbol einer rücksichtslos die menschliche Umwelt belastenden aufstrebenden Supermacht geworden. Und das vor allem deshalb, weil Millionen westlicher Touristen die Drei Schluchten selbst bereist haben, im Luxusdampfer zwischen chinesischen Kuttern. Der Glaube an die Einmaligkeit des eigenen Reiseerlebnisses ist für sie Anstoß, in der Überflutung der Schluchten ein ganz besonderes Verbrechen zu erkennen. Die Reiseveranstalter machten damit in den letzten Jahren einen Reibach. Nach dem Motto: Besichtigen Sie Chinas größte Schandtat an der Natur!

Der chinesische Blick auf das Dammprojekt ist ein anderer. Ursprünglich dominierte Maos alter Fortschrittsglaube. Maos Kommunisten hatten gerade beim Dammbau gegen die Flutbekämpfung in der 50er-Jahren Großes geleistet und eine ständige Lebensgefahr für hunderte von Millionen Bürgern beseitigt. Diesen Erfolg wollten seine Nachfolger mit dem Drei-Schluchten-Damm wiederholen, und die Hoffnung, dass er wirklich mehr Schutz für die Massen am Jangtse bietet, ist im Volk bis heute nicht verflogen. Ob zu Recht oder Unrecht, das werden erst kommende Fluten zeigen. Über die Jahre abhanden gekommen aber ist jede Euphorie über das Projekt. Die Umweltfolgen sind beträchtlich, die KP-Elite in Peking ist sich dessen bewusst und hat andere Staudammprojekte reduziert. Insofern ist die Kritik angekommen, muss der ökologische Streit mit Peking an anderer Front gesucht werden. GEORG BLUME