Auf der Suche nach der verlorenen Party

Die traditionelle Hamburger Groß-Party zum Eurovision Song Contest musste entfallen, weil die Reeperbahn renoviert wird. Also empfahl die Bild-Zeitung die Party in der Kantine des Hamburger Schauspielhauses. taznord feierte mit

An der Bar sitzt Leo, 37, Programmierer aus Hamburg-Horn und leert allein sein zweites Bier. Es ist Samstagabend, kurz vor neun und gleich geht der Grand Prix los. Alle zwei Minuten fummelt Leo am Mobiltelefon, versucht die Kumpels auch hierher zu dirigieren. „Die waren noch nie im Schauspielhaus, ich ja auch nicht“, sagt er. „Habs trotzdem gefunden.“

Das Eurovisions-Völkchen ist heimatlos geworden, weil die Stadt auf der Reeperbahn das abgetretene Trottoir neu verlegt. Vor einem Jahr schickte Moderator Thomas Hermanns noch vom Spielbudenplatz die Punkte nach Kiev. Versprengt über die ganze Stadt müssen die Fans dieses Mal in Kneipen hocken, auf kleine Bildschirme starren, während der Rest der Gäste sich lautstark unterhält. Da bleibt die Stimmung im Gequassel stecken.

Also hat die Keller-Kantine des Schauspielhauses zu sich eingeladen, hat einen großen Fernseher hingestellt, zwei Sicherheitsmänner an die Tür gesetzt und das Ganze Grand-Prix-Party genannt. Zweihundert Leute zwischen 20 und 40 Jahren warten an Tischen, glotzen zum Bildschirm, Kerzen schimmern. Einige bestellen Currywurst, die auf schwarzen, viereckigen Sushi-Tellern serviert wird. Aus der Glotze meldet sich Thomas Hermanns, er steht dieses Jahr im Delphi-Showtheater in Hamburg-Eimsbüttel. Auf seiner Party sitzen auch zweihundert Menschen gesittet an Tischen mit Kerzen drauf. Eine Karte für die Party im Delphi kostete zwischen fünfzehn und zwanzig Euro. Claudia Roth von den Grünen ist auch da.

Irgendwie sei die Luft raus aus der ganzen Grand Prix-Sache, sagt Leo. Seine Kumpels haben eine Nachricht zurückgeschickt: Sie wissen nicht, ob sie noch kommen. Die Keller-Kantine füllt sich, auch auf den unteren drei Treppenstufen sitzen Fans. Der Ober reicht eine Currywurst mit Pommes über den Tresen, und kippt dabei Leo Ketchup auf seine Bomberjacke. Leo lacht. Thomas Hermanns gibt ab nach Athen.

Das erste Mal Applaus gibt es für Malta, denn nach Malta kommt Deutschland, kommt die Hamburger Band Texas Lightning, kommen Dittsche, Ingo und Jane Comerford. „Darum sind wir ja hier“, sagt Karen, die mit ihren zwei Freundinnen an der Bar steht, gleich neben Leo. Jetzt überschlagen sich die Ereignisse: Vorn rechts stehen drei Fans auf und lassen ihren Po im Takt kreisen, klatschen in die Hände. Der Ober nimmt den Impuls auf und patscht seine Hände zusammen, laut, und präzise neben dem Takt. Vor ihm liegt die Serviette mit dem Ketchup von Leos Jacke. Als Jane den Rock lüftet, hat die Meute in der Kantine den Ton aus Athen totgeklatscht. Der Rest ist Jubel. Ob es reicht?

„Der Balkan-Block macht das unter sich aus. Die werden sich die Punkte zuschustern“, sagt Marco aus Hamburg-Billstedt, 31. Er hat ein St. Pauli-Shirt an, würde nächstes Jahr am liebsten „Wir sind Helden“ zum Grand Prix schicken und arbeitet bei einer großen Bank. „Seit längerem mal wieder ein Lied, für das man sich nicht schämen muss“, sagt Christiane, 29, Designerin aus St. Pauli. Leo fand Dittsche auch gut. Der Ober balanciert ein Tablett mit Frucht-Likör für alle durch die Kantine. Man ist zuversichtlich, die Wertung beginnt.

Jeder Punkt für Deutschland wird tapfer beklatscht. Nach den ersten zehn Ländern packen die ersten ihre Sachen und gehen nach Hause. Der Balkan gibt Punkte an den Balkan, Osteuropa an Osteuropa, Andorra zwölf Stück an Spanien, der Norden an den Norden. War mal wieder nichts mit Deutschland heute. Als Thomas Hermanns mit der Wertung dran ist, sitzt er auf einem Elektro-Gaul und sieht aus wie ein Statist aus dem Disneyland. Finnlands Metal-Orks liegen zu diesem Zeitpunkt schon weit in Führung. Leo fragt irritiert herum, ob die jetzt wirklich gewinnen. Dann bestellt er noch ein Bier. „Kriegst du umsonst!“, sagt der Ober, „für die Sache mit der Jacke. Außerdem ist jetzt Frust-Saufen angesagt.“

Markus Flohr