Ein Erfolg, der nicht so schmeckt

CHILE Bei den Präsidentschaftswahlen verpasst die Sozialistin Michelle Bachelet knapp die absolute Mehrheit. Im Dezember kommt es zur Stichwahl zwischen zwei Frauen

Die ersten Wahlen ohne Wahlpflicht – und nur 51 Prozent der Chilenen gingen hin

AUS SANTIAGO DE CHILE JÜRGEN VOGT

Michelle Bachelet muss in die Stichwahl. Mit 46,7 Prozent der Stimmen hat die Sozialistin bei der ersten Runde der chilenischen Präsidentschaftswahl am Sonntag die erforderliche absolute Mehrheit verfehlt. Die rechte Kandidatin Evelyn Matthei schafft mit 25 Prozent überraschend deutlich den Einzug in die zweite Runde. Auf Platz drei kommt der unabhängige Mitte-links-Kandidat Marco Enríquez-Onimani mit 11 Prozent der Stimmen, dicht gefolgt von dem nach allen Seiten offenen Kandidaten Franco Parisi mit 10 Prozent.

Kaum hatten die Wahllokale um 18 Uhr geschlossen, zeichnete sich der Trend zur Stichwahl ab. Der Frust im Bachelet-Lager war unübersehbar. Bachelets Auftritt im Pressezelt wurde abgesagt, stattdessen stieg sie gleich auf die Bühne vor dem Hotel, in dem sich ihr Wahlkampfkomitee eingemietet hatte. Die riesigen Boxen und Lichtorgeln zeigen, dass hier eine Siegesfeier geplant war. Aber nur 2.000 Anhänger wollen feiern, dass Bachelet als stärkste Kandidatin in die Stichwahl geht.

„Wir haben mit großem Vorsprung gewonnen,“ sagt sie trotzig. Das Ziel, es im ersten Wahlgang zu schaffen, sei zu „komplex“ gewesen. „Jetzt haben die Chilenen die Wahl zwischen zwei verschiedenen Projekten,“ kündigt die Kandidatin des Mitte-links-Bündnisses aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten an. Sie gibt sich siegessicher und verspricht erneut eine grundlegende Bildungs-, Steuer- und Verfassungsreform. Nach 15 Minuten Auftritt ist alles vorbei, die Kandidatin verschwindet durch die Tiefgarage.

Zur gleichen Zeit feiert Evelyn Matthei ihren Einzug in die Stichwahl. „Sí se puede – Ja, es geht doch“, skandieren ihre Anhänger. „Das ist ein großer Erfolg“, strahlt die sichtlich erleichterte Kandidatin der Allianz aus strammen Konservativen und Pinochet-Anhängern. Chile sei auf einem guten Weg, der nicht durch linken Reformeifer gefährdet werden dürfe, kritisiert sie die Vorhaben Bachelets und gibt sich von ihrem Erfolg in der Stichwahl überzeugt.

Die rund 13,3 Millionen Stimmberechtigten waren am Sonntag erstmals aufgerufen, freiwillig zur Wahl zu gehen – seit Ende 2012 ist die Wahlpflicht abgeschafft. Nur 51 Prozent gaben tatsächlich ihre Stimme für eineN der insgesamt neun PräsidentschaftskandidatInnen ab. In absoluten Zahlen erhielt Michelle Bachelet knapp über 3 Millionen Stimmen, Matthei gut 1,6 Millionen. Die beiden Männer auf Platz drei und vier bekamen zusammen knapp 1,4 Millionen. Beide haben bereits erklärt, in der zweiten Runde jedenfalls nicht für Matthei zu stimmen, ihren Anhängern wollen sie jedoch nichts empfehlen.

Am 15. Dezember kommt es damit zu einem ungewöhnlichen Frauenduell. Bachelet und Matthei sind beides Töchter von Generälen der Luftwaffe und besuchten die gleiche Schule. Unter der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973–1990) standen ihre Väter jedoch auf verschiedenen Seiten. Bachelets Vater wurde verhaftet und gefoltert. Er starb in Gefangenschaft, während Mattheis Vater sogar in die Militärjunta aufstieg.

Nach den Ergebnissen der gleichzeitig abgehaltenen Kongresswahlen stellt Bachelets Mitte-links-Bündnisses 67 der 120 Mandate im Abgeordnetenhaus, sowie voraussichtlich 21 von 38 Senatoren. Damit ist sie zwar in beiden Kammern die stärkste Kraft, für die geplante Verfassungsreform jedoch bräuchte sie 80 Stimmen im Abgeordnetenhaus und 25 im Senat.

Neu im Parlament sind einige prominente Vertreter der Studierendenbewegung. Die ehemalige Vorsitzende der Studentenvereinigung FECH, Camila Vallejo, schaffte ebenso den Sprung ins Parlament wie ihr Nachfolger im diesem Amt, Gabriel Boric, und der ehemalige Studentenführer an der Katholischen Universität, Giorgio Jackson.

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