berliner szenen Vater werden

Friedrichshainer Komma

Auf dem Parkett der deutschen Sprache kann man ziemlich ins Schleudern geraten. Erst letztes Wochenende ist mir das wieder mal passiert. Eigentlich wollte ich nur kurz den Müll runterbringen, da läuft mir ein Bekannter über den Weg, der einem Plausch ebenso wenig abgeneigt ist wie ich. Wir beginnen über allerhand zu reden, über Fußball, dann über Bücher, es ist ein nettes Gespräch. Aber weiß Gott warum – manchmal meint man, man müsste unbedingt etwas mordsmäßig Interessantes sagen. Ich lehne also im Hauseingang, während mir folgender verkorkste Satz aus dem Mund fällt: „Vor kurzem hat eine Bekannte, von mir im neunten Monat schwanger, eins meiner Bücher gelesen.“ Und Schnitt.

Es ist unschwer nachzuvollziehen, dass man durch solche Aussagen ziemlich in die Bredouille geraten kann. Einfach an der falschen Stelle innehalten und Luft holen, und schon hat man etwas wahrhaft Bedeutungsschwangeres von sich gegeben. Hätte ich diesen Satz schreiben wollen, auf ein Stück Papier oder in eine Mail, wäre das nicht passiert. Beim Schreiben ist das anders. Man sitzt am Schreibtisch, atmet gleichmäßig und setzt Kommas so, dass möglichst niemand davon schwanger wird. Schon gar nicht gute Bekannte. Das Friedrichshainer Komma hingegen, dieser luftgeholte Strich, Samstag morgens beim Müllrunterbringen, ist unsichtbar. Es wartet nur darauf, einem in die Sprechblase zu hüpfen. Letzte Woche nun hat eines von ihnen genau das getan. Dabei wollte ich doch einfach bloß sagen: „Vor Kurzem hat eine Bekannte von mir, im neunten Monat schwanger, eins meiner Bücher gelesen. Kaum hatte sie die letzte Seite hinter sich, da kamen auch schon die Wehen.“ Und Punkt.JOCHEN WEEBER