Der Teufel sucht eine Seele

„Damals haben mich alle für verrückt erklärt“: Zum 13. Mal zeigt Michael Batz in der Speicherstadt den Hamburger Jedermann. Faszinierend findet er den Stoff, den er stetig aktualisiert, noch immer

Interview: Ellen Köhrer

taz: Sie schreiben den Text jedes Jahr ein bisschen um. Welche aktuellen Details haben Sie diesmal eingebaut?

Michael Batz: Das Stück muss nicht jedes Jahr völlig neu geschrieben werden. Es ist aktuell wie eh und je. Immer wieder aktuelle Fenster zum Zeitgeschehen sind die Allegorien der Politik, Technologie und Ökologie. Auch dieses Jahr bieten sich viele Themen – schon dadurch, dass es durch seine Nähe zur Hafencity an einem stadtplanerisch so bedeutenden Ort aufgeführt wird.

Warum schauen sich nach 13 Jahren immer noch so viele Menschen das Stück an?

Im Stück geht es um die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen vor traumhaft schöner Kulisse. Das Stück fragt danach, was eine Gesellschaft zusammenhält. Was Stadt ausmacht. Was Gesellschaft zentriert. Fragt danach, was den Einzelnen motiviert, thematisiert seine Verantwortung. Die Zuschauerresonanz wird von Jahr zu Jahr stärker. Das Stück ist mittlerweile ein Klassiker, das Highlight des hiesigen Sommers. Der Stoff erreicht die Menschen und begleitet sie lange.

Was fasziniert Sie an dem Stück so sehr, dass Sie es zum 13. Mal aufführen?

Es ist ein turbulentes Theater mit einer sehr poetischen Sprache und brillanten Schauspielern. Im ersten Jahr war das ein Experiment. Es war nicht geplant, das fortzusetzen. Niemand hat an eine Kontinuität geglaubt. Ort, Stoff und die eigene, auf Hamburg bezogene Version des Stücks waren eine Herausforderung. Aber auch eine Faszination. Die Geschichte berührt unmittelbar. Schon bei der ersten Leseprobe war das Ensemble elektrisiert. Die Schauspieler entwickeln eine große Lust, die Figur des Jedermann neu zu füllen und neue Aspekte hineinzubringen. Sie fragen sich dann: Was ist mit mir, wenn ich an der Grenze stehe? Wie gehen wir miteinander um? Diese Gedanken sind auch bei den Proben sehr präsent. Auch deswegen ist die Produktion so legendär. Wir haben viel erlebt miteinander in zwölf Jahren, haben Baumaßnahmen überlebt, Harley-Davidson-Tage, die ganze Event- und Spaß-Szenerie.

Was bedeutet der Spielort, die Speicherstadt im Freihafen, für die Inszenierung?

Das Stück ist maßgeschneidert für den Ort im Herzen der Kaufmannsstadt. Einst war die Speicherstadt eine verträumte Landschaft von monumentaler Größe - und das mitten in der Stadt. Und jetzt der Wandel: Büros, Wohnräume und Cafés entstehen. Aber die Frage bleibt: Was ist die Seele einer Stadt? Welche Werteskala haben wir? Nach dem Fall der Mauer ist Geld noch wichtiger geworden. Im Hinblick auf die gesellschaftlichen Werte hieß es: Wer macht das meiste Geld? Und: Der finanzielle Gewinner bestimmt, was ein Wert ist. Die Figur des Jedermann stößt im Augenblick des größten Erfolges an ihre existenzielle Grenze. Alles steht auf dem Kopf, und ausgerechnet der Teufel sucht im seelenlosen Jedermann eine Seele. So alt das Stück des Jedermanns ist, es ist immer noch aktuell. Die Themen liegen offen zutage: Globalisierung und Wertfragen bestimmen die Diskussion. Ein Kernsatz des Stücks lautet „Der Mensch kommt an seine Grenze und zieht Bilanz.“ Es geht in meinen Inszenierungen nicht mehr nur um die barocke Todesstrafe am Lebemann Jedermann. Heute ist der Jedermann der Prototyp des Finanzinvestors, die Heuschrecke. Der erst dann menschliche Werte entdeckt, wenn plötzlich nichts mehr geht.

Welche Werte prägen Ihr eigenes Leben?

Ich stelle mir selber die Fragen: Was ist mir wichtig? Was sollte ich mit meiner Lebenszeit noch machen? Der Primat Ökonomie gehört nicht in meine Lebensbilanz. Geld schafft keinen Wert, bloß Möglichkeiten und Annehmlichkeiten. Wichtig ist, Dinge und Projekte zu machen, die ich für sinnvoll halte, die ungewöhnlich sind und mir Ziele setzen, die schwer zu erreichen sind. Alle haben mich für wahnsinnig gehalten, als ich 1994 mit dem Jedermann in die Speicherstadt ging. Auch an die Stadt als Bühne für die Lichtinstallation Blue Goals hat keiner geglaubt. Ich bin davon überzeugt, dass man etwas tun muss. Nichtstun und Bekritteln ist kein Wert.

Premiere: 7. Juli, 20 Uhr. Brooktor. Weitere Termine: bis 20.8. jeweils Fr, Sa, So, 20 Uhr. Info: www.speicherstadt.net. Kartenbuchung Tel.: 040-36 96 237