Industrieländer sind schlechtes Vorbild

Worldwatch-Bericht: Der Boom in China und Indien ist auch für den Rest der Welt eine Herausforderung – ökonomisch und vor allem ökologisch. Das Konsummuster der Industrieländer dürfe sich in den neuen Wirtschaftsmächten nicht wiederholen

Deutsche Unternehmen können dazu beitragen, Fehler zu vermeiden

AUS BERLIN CHRISTIAN HONNENS

China hat im vergangenen Jahr nicht nur 26 Prozent der weltweiten Rohstahlproduktion verbraucht, sondern auch 47 Prozent des weltweit hergestellten Zements. Das sind zwei Kernzahlen des aktuellen Berichts „Zur Lage der Welt 2006“. Sie zeigen, welche Größenordnung der Boom der chinesischen Wirtschaft inzwischen erreicht hat – und wie viel Ressourcen das Land zum Aufbau seiner Infrastruktur braucht. Der Report, den Oystein Dahle, der Chef des Washingtoner Worldwatch-Institutes, gestern in Berlin vorstellte, konzentriert sich in diesem Jahr auf die Entwicklung der beiden aufsteigenden Wirtschaftsmächte und deren Konsequenzen auf Weltwirtschaft und Umwelt.

„Nur der US-Konsum hat noch größere Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit auf diesem Planeten“, heißt es in dem Bericht. Vor allem China hole jedoch schnell auf, da „sein Ressourcenverbrauch seit 2001 in eine Phase des Hyperwachstums eingetreten“ sei.

„Wir stehen vor der Gefahr eines globalen Rohstoffimperialismus“, warnte Ralf Fücks, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. Auch er verwies dabei vor allem auf China, das schon heute Geschäfte mit repressiven Staaten wie etwa Iran und Sudan mache: „Es ist auch sicherheitspolitisch im Interesse Europas, diesen Ressourcenwettbewerb zu überwinden.“

Wie stark dieser Wettbewerb werden könnte, zeigt das zweite Schwerpunktland des Berichts, Indien. Hier hat sich der Ölverbrauch seit 1992 verdoppelt – auf 2,6 Millionen Barrel (je 159 Liter) täglich.

Vor diesem Hintergrund rief die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) China und Indien zu mehr Ressourcenschutz und Energieeffizienz auf. Insbesondere China habe wegen seiner wirtschaftlichen Macht eine internationale Schlüsselrolle inne. Deshalb müsse das Land auch stärker in internationale Strukturen zum Klimaschutz eingebunden werden. Wieczorek-Zeul freute sich ausdrücklich, dass deutsche Firmen in China mit daran arbeiten, Kohlekraftwerke zu modernisieren und erneuerbare Energien zu entwickeln.

„Diese Vorreiterrolle muss aufrechterhalten bleiben“, sagte der Vorstandsvorsitzende von Germanwatch, Klaus Milke. Germanwatch gehört wie die Heinrich-Böll-Stiftung zu den Mitherausgebern der deutschen Ausgabe des Worldwatch-Berichts – mit dem Washingtoner Institut hat die Organisation aber nichts zu tun. Milke appellierte an die deutsche Wirtschaft und Politik, Verantwortung zu übernehmen. „Deutsche Unternehmen können dazu betragen, dass in China und Indien Fehlentwicklungen der industrialisierten Staaten vermieden und hohe soziale und ökologische Standards verankert werden.“ Sie könnten ganz praktisch unter Beweis stellen, dass sie es mit der Corporate Responsibility, der Unternehmensverantwortung, ernst meinen.

Auch Worldwatch-Chef Dahle sieht die Verantwortung für die weitere Entwicklung nicht ausschließlich bei China und Indien: „Wir sind das Problem“, sagte er. „Die Konsummuster der Industrieländer sollten nicht wiederholt werden. Sonst bräuchten wir zwei Planeten, um die Bedürfnisse aller zu stillen.“ Schließlich sei der weltweite Ölverbrauch in den letzten 50 Jahren von 5 auf 31 Milliarden Barrel pro Jahr angewachsen. Dahle forderte die Industriestaaten auf, ihren Energieverbrauch nicht um, sondern auf ein Zehntel zu reduzieren. Dazu seien aber ein viel stärkerer politischer Wille und mehr Entschlossenheit notwendig.