YORCKBRÜCKEN
: Ein Stück vom Kuchen

Masturbation, da lachen die doch

An der Yorckstraße, kurz vor den Brücken, da, wo sie gerade den alten Zollpackhof abgerissen haben, räkelt sich auf dem Mäuerchen eine nackte Frau. „Masturbation Nr. 9“ steht auf der DVD-Hülle, ich gehe daran vorbei, in meinem Kopf öffnet sich ein Fragenkatalog.

Was, wenn Kinder das finden? Hat das jemand da hingelegt, damit Kinder es finden? Sollte ich es wegnehmen, um Kinder davor zu schützen? Muss man Kinder vor so etwas schützen? Wenn ja, ist das meine Aufgabe? Was denken die Leute, wenn ich die DVD nehme? Wer sagt denn, dass da überhaupt eine DVD drin ist?

Ach, denke ich, Kinder kann man heute vor Pornografie gar nicht mehr schützen. Die sind so abgebrüht. Masturbation, da lachen die doch. Wahrscheinlich waren es sogar Kinder, die die DVD da platziert haben, und wenn jemand danach greift, filmen sie ihn aus ihrem Versteck hinter dem Bauzaun und twittern das einmal um die Welt. Nicht mit mir, Freunde!

Ich laufe weiter in Richtung Schöneberg. Sie rosten immer noch so schön, die Brücken, und mal wieder frage ich mich, ob Neuberliner den Spruch „Wir wollen nicht ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei“ für ein authentisches 80er-Jahre-Graffito halten. Dabei wurde der für den beknackten Exhausbesetzerfilm „Was tun, wenn’s brennt?“ von 2001 an die Brücke gepinselt. Mit Til Schweiger war der.

Am Ende, zwischen den beiden S-Bahnhöfen, ist dann schon wieder alles anders als letztes Mal. Auf der nördlichen Straßenseite, also gegenüber der Bude, die früher den besten Döner von Berlin verkaufte und inzwischen zu einem protzigen Einfamilienhaus angewachsen ist, steht ein monströser Bau- und Gartenmarkt. Der versiffte Eingang zur U7, der früher gut mit der Umgebung harmonierte, wirkt seltsam deplatziert vor der riesigen Glasfront, hinter der sich Rasenmäher reihen. Es nieselt.

CLAUDIUS PRÖSSER