Neuer Fahrplan für den Frieden

Das Nahostquartett ist mit seinem Vermittlungsauftrag gescheitert. Die Europäer sollten es verlassen, um endlich die israelisch-amerikanischen Blockaden zu überwinden

Wird für politisches Wohlverhalten nur die fortgesetzte Besetzung offeriert, fehlt es an einer Perspektive

Wieder einmal hat dem so genannten Nahostquartett (den USA, Russland, den UN und der EU) der Mut gefehlt. Sonst hätte es sich nach seiner Sitzung in New York auflösen müssen. Dies wäre die angemessene Konsequenz aus dem Scheitern seiner Politik gewesen, denn eine neue strategische Ausrichtung gelang nicht. Heraus kam nur ein politischer Offenbarungseid: der halbherzige, am Folgetag von den USA schon dementierte „nichtöffentliche“ Beschluss, die Zahlungen an die Palästinenser wieder aufzunehmen.

Die Funktion eines ehrlichen Maklers im Nahostkonflikt konnte das Quartett ohnehin nie erfüllen. Zum einen fehlte es an der elementaren Voraussetzung für den Erfolg eines jeden Vermittlers: der Anerkennung durch beide Konfliktparteien. Die israelische Regierung akzeptierte das Quartett nie, sondern betrachtet weiterhin allein die USA als relevanten Ansprechpartner. Zum anderen war dem Quartett 2002 mit der „Roadmap“ ein Fehlstart beschieden.

Dieser dreistufige Plan, der die Gewalt im Nahen Osten eindämmen und bis Ende 2005 zu einem palästinensischen Staat führen sollte, wurde von Israel nur mit 14 substanziellen Einschränkungen angenommen. Damit war dieser „Fahrplan zum Frieden“ zu Makulatur geworden. Schließlich agierte die Bush-Regierung oft allein, so auch, als der US-Präsident feststellte, er werde wohl während seiner Amtszeit die Entstehung eines palästinensischen Staates nicht mehr erleben.

Nach dem Amtsantritt der neuen Hamas-„Regierung“ wurde von dem Quartett die wirtschaftliche und politische Belagerung Palästinas ausgerufen. Nun steuert dort alles auf eine soziale und politische Katastrophe zu. Die häufigen Grenzschließungen durch Israel und das jähe Versickern der Geldquellen aus dem Ausland führen schon jetzt im Gaza-Streifen zu Lebensmittelverknappung und Mangel an Medikamenten. In den letzten Tagen drehte Israel sogar den Benzinhahn zu. Zudem warten etwa 160.000 Bedienstete der Palästinensischen Autonomiebehörde und ihre Familien, also etwa eine Million Menschen, nun schon im dritten Monat auf ihr Gehalt. Ein Viertel der palästinensischen Bevölkerung hat deshalb kein Einkommen.

Hier gilt zu bedenken: Gehälter von der Autonomiebehörde erhalten nicht nur Hamas-Leute und bewaffnete Milizen, sondern auch Lehrer, Ärzte oder Pflegepersonal. Wer hier Zuwendungen streicht, nimmt den Zusammenbruch von Gesundheits- und Erziehungswesen in Kauf. Wie so häufig treffen undifferenzierte Finanzsanktionen die Falschen am härtesten. Armut und Arbeitslosigkeit steigen in neue Rekordhöhen, bewaffnete Auseinandersetzungen und Anarchie nehmen zu.

Das Quartett beraubte sich jeder politischen Manövrierfähigkeit, als es im Januar übereilt beschlossen hatte: Der Kontakt zur Hamas-„Regierung“ ist nur erlaubt, wenn sie Israel anerkennt, alle bisherigen Vereinbarungen einhält und dem Terror abschwört. Das schwächt zwar die Hamas-geführte Autonomiebehörde, könnte aber auch eine humanitäre Katastrophe auslösen. Statt für Zuckerbrot und Peitsche entschied sich das Quartett nur für die Peitsche und überließ damit allein der Hamas das Handeln. Es ist schwierig, nun differenziert auf die komplexen Entwicklungen in Palästina zu reagieren, und erst recht, darauf Einfluss zu nehmen.

Die Strategie der finanziellen Strangulierung wird vor allem von den USA verfolgt. Sie blockieren bislang alle Versuche eines abgestuften Umgangs mit finanziellen Sanktionen, indem sie allen Beteiligten – einschließlich den Banken – mit Boykott drohen. Die absehbare soziale Katastrophe und das politische Chaos sollen die Hamas-Regierung zum Rücktritt zwingen und die Islamisten so treffen, dass sie in der Versenkung verschwinden.

Doch Enttäuschung und Verzweiflung führen gerade in dieser Weltregion erfahrungsgemäß eher zur Radikalisierung als zur Mäßigung. Die Isolierungsstrategie gegenüber der Hamas lässt zudem die Frage unbeantwortet, was denn auf deren Sturz folgen soll. Wäre dann Israel plötzlich zu Friedensverhandlungen bereit?

Eine abgestimmte Handhabung des Mittelstopps umzusetzen, stellt gewiss eine Herausforderung für das Quartett dar. So wurden in New York Vorschläge diskutiert, wie Geld selektiv an überlebenswichtige Einrichtungen vergeben werden kann oder ob alternative Zahlungswege über Präsident Mahmud Abbas oder einen Treuhandfonds der Weltbank bestehen. Die jüngste „Beschlusslage“ stiftete bislang nur Verwirrung und gibt den Palästinensern keinen Anlass zur Hoffnung. Die USA wollten offenkundig lieber ihr Gesicht wahren, indem sie die Hamas weiter strangulieren, als die humanitäre Katastrophe wirkungsvoll zu verhindern.

Politisch dokumentiert das Quartett seine Hilflosigkeit und Uneinigkeit, indem es trotzig am Ultimatum gegenüber der Hamas festhält. Stattdessen sollte es lieber überlegen, wie und unter welchen Bedingungen eine Kontaktaufnahme mit der Autonomiebehörde möglich ist. Dabei geht es nicht darum, die Hamas salonfähig zu machen, sondern darum, politische Optionen zu eröffnen.

Wer für Gespräche Vorbedingungen formuliert, die eigentlich Verhandlungsergebnisse vorwegnehmen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn es nicht zu Gesprächen kommt. Wird für politisches Wohlverhalten nur die fortgesetzte Besetzung mit all ihren völkerrechtswidrigen Folgen offeriert, dann fehlt es an einer politischen Perspektive für die Konfliktregelung. Nicht verhandelbar ist allerdings die Beendigung des Terrors. Warum setzt man nicht hier eine eindeutige Priorität für die Aufnahme von Gesprächskontakten? In der Hamas werden heftige strategische Debatten geführt. Wie könnte man einen Mäßigungskurs fördern und die moderaten Kräfte unterstützen?

Enttäuschung und Verzweiflung führen gerade in dieser Weltregion eher zur Radikalisierung

Keine dieser Fragen hat sich das Nahostquartett in New York gestellt. Heute muss sich die EU fragen, ob dieses Gremium tatsächlich den erhofften europäischen Einfluss auf die Nahostpolitik Amerikas ermöglicht hat oder ob diese durch das Quartett nicht vielmehr in die US-Politik friedenspolitischer Abstinenz eingebunden wurde.

Um dem verwesenden Leichnam des Friedensprozesses neues Leben einzuhauchen, sind neue eigenständige europäische Initiativen notwendig. So könnten alternative Verhandlungskanäle offensiv genutzt werden: Die PLO oder die palästinensische Präsidentschaft bieten hier Ansatzpunkte. Immerhin hat die Hamas deutlich ihre Bereitschaft kundgetan, dies zu dulden. Mögliche Verhandlungsergebnisse könnten in einem Referendum zur Abstimmung gestellt werden. Die Quartettauflösung könnte der EU endlich wieder politische Spielräume eröffnen, um den hermetischen Zirkel amerikanisch-israelischen Krisenmanagements zu durchbrechen, der die notwendige Konfliktregelung in immer weitere Ferne schiebt.

CHRISTIAN STERZING