Böcke zu Gartenbauministern

Nichts auf der Welt ist gerecht: Der Edelfan mit Doppelgehalt wird umworben, der normale Hooligan hingegen muss sich spezielle Strategien der Tarnung ausdenken, um bei der Fußball-Weltmeisterschaft dabei zu sein

Jedem der beiden finsteren Anabolikaklöpse hat man ein winziges bebrilltes Fräulein zur Seite gestellt

Es ist spät am Nachmittag, und vor „Curry 36“ am Mehringdamm herrscht Hochbetrieb. Inmitten der hungrigen Menge lassen sich zwei seltsame Pärchen bestaunen – ein zweiter und dritter Blick beseitigen die letzten Zweifel: Die Hooligans sind da!

Schon vier Wochen vor dem Beginn der Weltmeisterschaft bewegen sie sich mitten unter uns, dabei wollte man gerade das doch unbedingt vermeiden. Tag für Tag werden neue Gesetze verabschiedet und neue Panzer aufgefahren, an den Grenzen zu Holland und besonders Polen, wo die allerschlimmsten Hools vermutet werden.

Im Grunde will man noch nicht mal die normalen Fans, die nur Bier trinken und Fußball gucken und kein Interesse an überteuerten Puffs und Hotels und den vielen Events von fußballnahen Künstlern zeigen. Deutschland begrüßt lieber „Edelfans“. Die kennen zwar keinen Doppelpass, aber ein Doppelgehalt. Von dem sollen sie in Luxusherbergen absteigen, Kaffeebecher mit dem Berliner Wappen kaufen sowie in eigens dafür aufgestellte „Verrichtungsboxen“ – früher sagte man „Frauen“ – ablaichen. Dass dort vermehrt ins Land geprügelte Osthuren arbeiten werden, bezweifeln sogar die entsprechenden Hilfsorganisationen; nur die Schweden schnallen mal wieder nicht, dass jegliche Form der Prohibition das Verbrechen bloß befördert – von der Zwangsprostitution ausländischer Frauen bis hin zur Zwangsbesoffenheit der eigenen Landsleute auf den Kanarischen Inseln.

Wenn man die Edelfans hübsch in Hemdchen drapiert, mit dem Fifa-Logo, dem Cola-Logo, dem Germany-Logo, dann sehen sie echten Fußballfans beinahe ähnlich – alles logo.

Sie haben natürlich Angst vor den Hooligans. Die dürfen die Party auf keinen Fall verderben – „Die Welt zu Gast bei Nutten“ soll ein friedliches Fest sein, ohne Schmuddelkinder. Sonst wäre es ja wie damals, als zum alkoholfreien Schwof im evangelischen Gemeindehaus plötzlich uneingeladene Dorfpunks auftauchten, mit einer Flasche Küstennebel im Gepäck, und dem Dekan oder Diakon oder Dekurion seine klebrige Sponsorenbrause über den Dez schütteten.

Man will sie hier nicht, doch sie sind bereits vor „Curry 36“: Zwei monströse Cyborgs, kahl und glatt, dabei unnatürlich dunkelbraun, von schrankähnlicher Form und vermutlich auch Konsistenz – das Modell „Hulle“ von Ikea. Und weil die Kampfmöbel so wenig Geld haben wie die gewöhnlichen Fans, verdienen sie sich ein paar Euro in der dunkelblauen Uniform des Ordnungsamts hinzu. In ihrer gesamten Ausstrahlung von überaus opulenter Fragwürdigkeit hat man hier definitiv die Böcke zu Gartenbauministern gemacht: am Tag Ordnungsamt, bei Nacht Türsteher, dazwischen Koks und Kloppe.

Der Clou steckt jedoch im Detail: Jedem der beiden finsteren Anabolikaklöpse hat man ein gleichfalls uniformiertes, winziges, bebrilltes Fräulein zur Seite gestellt – sei es zur Unterstreichung der eigenen Wirkung oder als neckischen Kontrapunkt. Doch nach fanatischen Jüngern des selbstironischen Bruchs sehen mir alle vier nicht aus.

Vielleicht ist das ja überhaupt eine völlig neue Taktik, und wer nicht sowieso schon hier ist, weil er beim BFC Dynamo oder beim Ordnungsamt beschäftigt ist, kommt auf diese Weise unauffälliger nach Deutschland – sei es die „verschrikkelijk gouda gang“ aus Rotterdam oder die berüchtigte „kurwa wschodnia“, der Fan-Club „Ostkurve“ von Legia Warschau. Gern stelle ich mir den bizarren Anblick von tausend polnischen Hooligans vor, denen jeweils ein polnisches Brillenfräulein beigeordnet ist. Die Damen beider Lager könnten bei den Hauereien die Treffer zählen, solange das noch nicht vollelektronisch geht, wie beim Fechten. Anschließend Zähne einsammeln, Wunden verbinden und Kaffee kochen respektive noch ein paar anständige Bahnen bauen.

Das würden die aber doch nicht machen – diese Erkenntnis reift in mir, während ich die Ordnungsamtsstreifen weiter beobachte: Die Mitarbeiterinnen scheinen nämlich das Sagen zu haben. Offenbar sind sie es, die die schwerfälligen Schlachtenkolosse mit subtiler Eleganz und Präzision zu lenken wissen. Da sollte der Bundesgrenzschutz seine Liste mit den Gefahrenmerkmalen besser noch mal überarbeiten. ULI HANNEMANN