Das Gesetz sollte die Prostituierten schützen – eigentlich

SCHWEDEN 1999 kriminalisierte das Land als erstes die Käufer von Sex. Aber was folgt daraus? Das Verbot unterscheide nicht zwischen Sexarbeit und kriminellen Machenschaften, sagen seine Kritiker

STOCKHOLM taz | Das Gesetz habe den beabsichtigten Effekt gehabt und stelle „ein wichtiges Instrument dar, um Prostitution und Menschenhandel für sexuelle Zwecke vorzubeugen und zu bekämpfen“, konstatierte 2010 eine regierungsamtliche Studie, in der Stockholm die zehnjährigen Erfahrungen mit dem schwedischen Sexkaufverbot bilanzierte: „Die Prostitution ist im Unterschied zu vergleichbaren Ländern jedenfalls nicht angestiegen“, die Straßenprostitution sei in etwa halbiert worden. Das sehe man als Erfolg der Kriminalisierung des Sexkaufs an. Zudem belegen Untersuchungen, dass in der Gesellschaft die Einstellung gegenüber der Prostitution negativer geworden sei.

Am 28. Mai 1998 hatte der Reichstag in Stockholm gegen die Stimmen der Konservativen eines der meistdiskutierten Gesetze des Landes verabschiedet. Zum 1. Januar 1999 war es in Kraft getreten und vor zwei Jahren war der Strafrahmen für den Kauf sexueller Dienste auf Haft bis zu einem Jahr verdoppelt worden. Schon vorher hatte es in Schweden ein Verbot der Kuppelei und des Betriebs von Bordellen gegeben. Laut Umfragen konnte sich der Gesetzgeber für das Sexkaufverbot auf eine deutliche Bevölkerungsmehrheit stützen.

In Norwegen und Island sind mittlerweile ähnliche Gesetze in Kraft. In Dänemark und Finnland hingegen scheiterten Initiativen, dem Beispiel Schwedens zu folgen.

Marianne Berg ist Abgeordnete der schwedischen Linkspartei. Sie steht hinter einem Aufruf, das „Sexköpslag“ zu verschrotten. Dieses Gesetz sei Ausdruck „des schwedischen Traums von einem sauberen Volksheim“. Sie zieht historische Vergleiche, was im Zeichen solcher „Fürsorge“ unter dem Motto „der Staat weiß, was das Beste für euch ist“ schon gerechtfertigt worden sei: Von der Lobotomie psychisch Kranker bis zur Zwangssterilisierung von „gesellschaftlichen Randgruppen“. „Mit dem Sexkaufverbot will der Staat sexuelle Aktivitäten zwischen mündigen Erwachsenen kontrollieren“, sagt Berg: Im Grund seien das patriarchale Vorstellungen mit einer Einteilung in „guten“ und „bösen“ Sex.“ Natürlich müssten Zwang zur Prostitution und Trafficking bekämpft werden, doch dies sei der falsche Weg.

Ganz anders sieht das Zanna Tvilling von der Stockholmer Polizei. Sexkäufer zu kriminalisieren sei gerechtfertigt, denn diese unterstützten durch ihr Handeln die organisierte Kriminalität. Tvilling lobt das Verbot als das „wichtigste Werkzeug“, das die Polizei beim Kampf gegen den organisierten Menschenhandel habe: „Wir hören von den Frauen, dass es schwerer ist, in Schweden Kunden zu bekommen. Unser Land ist weniger attraktiv für Menschenhändler geworden.“

Tappen im Dunkeln

KritikerInnen vermuten jedoch, dass die Nachfrage nach sexuellen Diensten nun über andere und für die Prostituierten oft gefährlichere Kanäle bedient werde. Seit Inkrafttreten wurde erst einmal eine Haftstrafe verhängt, auch für dutzendfachen Sexkauf oder offensichtliches Ausnutzen von Opfern krimineller Banden gibt es nur Geldstrafen. Schreckt das Gesetz potentielle Freier ab? Was die Effekte des Sexkaufverbots angehe, tappe man weitgehend im Dunkeln, meint Marianne Berg: Alle offiziellen Studien seien „ideologische Kampfschriften mit vorab feststehendem Resultat“. Auch der Reichsverband für sexuelle Aufklärung (RFSU) fordert „endlich eine objektive Untersuchung“.

Den bisherigen Studien fehle völlig die Perspektive der Frauen und Männer, die Sex verkauften, sagt die RFSU-Vorsitzende Kristina Ljungros. Und Marie-Louise Svarfvar, Sozialarbeiterin in Malmö, berichtet: „Das Bild, das die Frauen vermitteln: Es geht rauer zu, seit es das Sexkaufverbot gibt.“ Das Risiko, an gewaltsame Kunden zu geraten, sei gewachsen: „Die jetzt noch als Sexkäufer übrig sind, meinen offenbar, nicht so viel zu verlieren zu haben.“ REINHARD WOLFF