Beschwörung der großen alten Damen

BÜHNE Im Admiralspalast lässt das Theater Bimah mit „Café Größenwahn. Das verlorene Paradies – die wahre Geschichte“ die Goldenen Zwanziger und Rosa Valettis Cabarett wieder aufleben; leider verirrt es sich darin

Zu viel Theater: Das Stück ist Revue, Geschichtsstunde, Hommage an die 20er

VON JÖRG SUNDERMEIER

Das berühmte „alte“ Café des Westens in Berlin überlebte den Ersten Weltkrieg nicht. Das Café, das wegen der vielen Künstlerinnen und Künstler, die dort verkehrten, scherzhaft „Café Größenwahn“ genannt wurde, schloss 1915, das neue Café des Westens, das zuvor an anderer Stelle eröffnet wurde, konnte jedoch nicht mehr zum Anziehungspunkt für die Berliner Boheme reüssieren.

Allerdings hatten die dortigen Räume noch einmal große Bedeutung für das Berliner Kunstvölkchen – von 1920 an leitete dort im Obergeschoss des ehemaligen Cafés zwei Jahre lang die Schauspielerin und Chanteuse Rosa Valetti das Cabarett Größenwahn. Noch einmal kehrte die Boheme an den Ort zurück, noch einmal wurden hier große Pläne geschmiedet, Spießer verlacht und viel getrunken.

Für das Stück „Café Größenwahn. Das verlorene Paradies – die wahre Geschichte“ lässt der Autor und Regisseur Dan Lahav das Cabarett Größenwahn nun noch einmal auferstehen. Man findet es auf der Bühne des Jüdischen Theaters Bimah im Admiralspalast. Ähnlich dem damaligen Cabarett spielt es nicht auf der großen Bühne. Man findet das Bimah im dritten Stock des Admiralspalasts, der mit seinen Theatern und Etablissements in den 20er Jahren selbst ein Haus Größenwahn hätte sein können.

Und noch in anderer Hinsicht ist das Theater, das Lahav vor 12 Jahren gründete, dem Cabarett Größenwahn ähnlich. Denn das Theater ist leider in seiner Existenz gefährdet, wie Lahav bei der Premiere anmerkte und das Publikum aufrief, für seine Bühne zu trommeln.

Existenznot ist auch der Aufhänger seines Stückes, in dem es hauptsächlich darum geht, dass Rosa Valetti mit ihren Freundinnen Marlene Dietrich, Margo Lion und Blandine Ebinger versucht, eine Gala auf die Beine zu stellen, die das Cabarett retten soll. Den Rahmen bildet allerdings das Schicksal Valettis, die 1936, ein Jahr vor ihrem Tod mit 61 Jahren, am Strand in Palästina sitzt, von Hitler vertrieben, von ihrem geliebten Cabarett entfernt, und sich zurückerinnert an damals: An ihren Freund Ringelnatz, an Friedrich Hollaender und Walter Kollo, an Kurt Tucholsky, der sie zum politischen Kabarett brachte und Lieder für sie schrieb, und natürlich an ihre Freundinnen Blandine, Marlene, Margo und Claire Waldoff.

Diese Erinnerungen werden dann wieder lebendig, man sieht die Probe zur Gala. Margo (gespielt von Alexandra Julius Frölich) und Blandine (Janina Klinger) singen sich Lieder vor, begleitet von einem jungen Mann am Piano (Florian Fries). Dann wieder lästern sie über ihre Konkurrentinnen oder schwelgen im Rausch der Kunst. Marlene (ebenfalls Janina Klinger) hat einen Kurzauftritt, Claire Waldoff (noch mal Alexandra Julius Frölich) ebenso, sie ist aber gar nicht recht Teil des Stücks. Schließlich wieder ist man am israelischen Strand und sieht Rosa Valetti zusammenbrechen unter der Last der Erinnerungen an jene schöne Zeit.

Alle drei Schauspielerinnen geben sich an dem zweieinhalb Stunden dauernden Abend reichlich Mühe, Klinger besonders, doch Dan Lahav hat sich leider nicht dafür entscheiden können, was er eigentlich inszenieren will, eine Revue, eine Geschichtsstunde, eine Hommage an die bei ihm allzu golden erscheinenden zwanziger Jahre. So fasert sein Stück immer mehr auseinander, während Lahav den Schauspielerinnen noch einen weiteren Kostümwechsel aufzwingt und sie in noch ein Potpourri peitscht.

So beginnt man leider auf das zu sehen, was jenseits des Gutgemeinten nicht stimmt, und das ist einiges. Hätte sich Lahav auf die Möglichkeiten seines kleinen Hauses beschränkt, das Material wäre fantastisch zu arrangieren gewesen, doch Lahav will mehr, als sein Theater leisten kann. Auch ist Lahav von der Diva Dietrich so besessen, dass er schon die Unbekannte, die sie 1922 noch war, als große Diva inszeniert, wie er überhaupt immer wieder große Namen beschwört, die es gar nicht bräuchte, da Valetti, Ebinger und Lion jederzeit für sich stehen könnten. Das ist schade, denn es ist allemal verdienstvoll von Dan Lahav, an diese großen Damen und ihre Kunst zu erinnern.

■ Nächste Vorstellungen: 10. 11., 13. 11., 16. 11., 22. 11., 29. 11.