Kosmos Krankenhaus

MEDIZINGESCHICHTE Die Ausstellung „Geburt der modernen Medizin“ im neu eröffneten Medizinhistorischen Museum zeigt auch die sozialen Dimensionen der Behandlung

VON FRANK KEIL

Hier lagen sie also, einzelne Körperpartien vermutlich abgedeckt, am Kopfende ein Schlauch und an dessen Ende ein Duschkopf aus Metall und Keramik. Acht steinerne Tische stehen im einstigen Sektionssaal des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE): 1926 im Erdgeschoss des vom Hamburger Baumeister Fritz Schumacher entworfenen Baues in Betrieb genommen, 2006 geschlossen und nun frisch restauriert.

„Für uns ist dieser Raum insgesamt ein Exponat. Deshalb wurden in ihm auch keine Stellwände und keine Vitrinen aufgestellt“, sagt denn auch die für die räumliche Ausgestaltung des neuen Medizinhistorischen Museums verantwortliche Designerin Alexa Seewald: Der Raum allein soll wirken, soll den Betrachter für wenigstens einen Moment in Anspruch nehmen und seinen Hang, sich durch anzueignendes Wissen der Gewissheit der eigenen Sterblichkeit zu erwehren, wenigstens für einen Moment unterbrechen.

Dann geht es weiter in die angrenzenden Schauräume des UKE-Hausmuseums. Zurück an einen Wendepunkt in der Geschichte der Medizin: Zu Recht trägt die nun erste Dauerausstellung den Titel „Die Geburt der modernen Medizin“.

Denn diese setzt an, als die verschiedenen Naturwissenschaften ihr jeweiliges Wissen bündeln und es in die technische Entwicklung von Apparaturen zur Diagnostik und dann Therapie steckten. So ist es zwar zunächst schlicht der räumlichen Anordnung zu verdanken, dass der restaurierte Sektionssaal den Beginn des Museumsrundganges markiert.

Zugleich aber zeigt es genau diesen Wandel an: Waren Sektionsräume vorher am Rande von Krankenhäusern nur mühsam zu finden, versteckt und quasi gebannt, rückt nun die Öffnung des Leichnams und die Suche nach der jeweiligen eindeutigen Todesursache ins Zentrum der Medizin.

Zugleich werden neben dem technisch-medizinischen Werdegang immer auch die sozialen Dimensionen von Pflege und Behandlung jenseits der Entwicklung diverser therapeutischer Verfahren wie dem EEG oder dem Röntgenblick thematisiert: Ein Raum mit der zunächst abstrakt wirkenden Überschrift „Kosmos Krankenhaus“ widmet sich anhand konkreter Exponate wie dem Fotoalbum einer lebenslang unverheirateten Krankenschwester dem Verhältnis von Pflegenden und Gepflegten.

Wie es dazu kam, dass bis heute ein so seltsam verkorkstes Image der Krankenschwester noch die trivialste Arztserie prägt? Noch bis zum Anfang der 60er-Jahre mussten Krankenschwestern, die in der stationären Pflege arbeiteten, bei einer Heirat ihren Beruf aufgeben. „Damals wurden nicht nur die Schwestern, sondern auch die jungen Assistenzärzte angehalten, quasi zölibatär zu leben – oft unter einem Dach“, erzählt Heinz-Peter Schmiedebach, Leiter des Instituts für Ethik und Geschichte des UKE, dem das Museum zugeordnet ist, – und nun im zweiten Schritt auch Museumsdirektor.

Gewiss, manche Themen haben keinen Platz gefunden. Manches hätte mehr Raum und Aufmerksamkeit verdient, anderes wird nur kurz angerissen, wie das oft fatale Handeln Hamburger Mediziner im Nationalsozialismus.

Und nicht zuletzt wäre das Universitätskrankenhaus selbst ein mehr als interessantes Erkundungsfeld. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten von einer von Mauern umgebenen, backsteinroten Krankenanstalt mit ihren auf dem weitläufigen Gelände verstreuten Bauten in ein zentrales, hypermodern anmutendes Dienstleistungszentrum aus Glas, Beton und Stahl verwandelt. Ist aus dem Kranken von einst tatsächlich ein Kunde geworden. Und wenn ja, was bedeutet das? Welchen Anforderungen an Effizienz und Wirtschaftlichkeit unterlag ein Krankenhaussystem wie das UKE in verschiedenen gesellschaftlichen Epochen? Und welche überwunden geglaubten mythischen Vorstellungen von Erkrankung und Heilung haben womöglich gerade unter dem Dach des technisch immer mehr Möglichen bis heute überlebt?

Aber das kann alles noch kommen. Da das Museum dem Institut für Ethik und Geschichte der Medizin des Universitätsklinikums angegliedert ist, dürfte es langfristig so etwas wie der Austragungsort der dort stattfindenden, auch medizinsoziologischen Forschungen werden. Zu hoffen ist erst einmal, dass das alte, frisch renovierte Haus über seinen ersten Interessentenstamm an ärztlichem und pflegerischen Personal des UKE hinaus recht viele externe Besucher und Beobachter findet.

Die Medizin ist schließlich eine Wissenschaft, die es, wenn es um die kritische Betrachtung besonders von außen geht, nicht allzu eilig hat.

■ Medizinhistorisches Museum Hamburg im UKE, Haus N30. Mi, Fr und Sa 14 – 18 Uhr; So 12 – 18 Uhr. Öffentliche Führungen: Fr, 17 Uhr