Verschwunden und geblieben

KONZERTKRITIK Der große Gil Scott-Heron lachte über die Hölle auf Herden, verdichtete den Dreck der Straße und war auch sonst toll in der Maria

Gil Scott-Heron verbrachte den Großteil der Nullerjahre wegen Kokainbesitzes im Gefängnis. Zwischen seiner letzten schwarzen Scheibe „Spirits“ und seiner aktuellen LP „I’m new here“ liegen 16 Jahre. Und nun dies: Am Donnerstag spielte der amerikanische Musiker und Poet Gil Scott-Heron in Berlin das erste Deutschland-Konzert auf seiner Welttournee. Für nicht wenige Musikliebhaber, vor allem in Soul-, Jazz-, Funk- und HipHop-Kreisen, gilt seine Rückkehr gerade als die Sensation schlechthin.

„Wenn man neue Alben herausbringt, dann erfährt man immer sehr interessante Sachen über sich“, scherzte Heron gleich zu Beginn: „Diesmal behaupten die Leute, ich sei weg gewesen: Verschwunden! Ha, ich wusste gar nicht, das ich diese Eigenschaft besitze – zu verschwinden. Wundern Sie sich also nicht, wenn ich während des Konzertes einfach so verschwinde.“

Die Stimmung in der ausverkauften Maria gleicht von Beginn an einer andächtigen Blues- und Soulmesse. Schließlich steht hier im Alter von 61 Jahren ein Mann auf der Bühne, der als der Erfinder des HipHop gilt und bei den anwesenden Poptheoretikern als der schwarze Bob Dylan gehandelt wird. Beide Gedanken sind zwar nachzuvollziehen, aber dennoch Geschwätz: Dieser Mensch ist nur er selbst! Wenn man ihn auf der Bühne sprechen, singen und E-Piano spielen sieht, wünscht man sich die im Musikgeschäft verteufelte „Authentizität“ in den Popbetrieb zurück. Wie dieser Künstler über das Leben, ja über sein Leben, lachen kann, um im nächsten Moment zu schwirrenden Jazzakkorden den Dreck der Straße zu verdichten, da kann einem der Hype um jedes neue, glamouröse Gesicht an den Bildschirmen dieser Welt gestohlen bleiben.

Herons medienkritischer Rap „The Revolution will not be televised“ aus den frühen Siebzigerjahren wird an diesem Abend nicht gespielt. Was schade ist, da nicht wenige Konzertbesucher die ganze Zeit über damit beschäftigt sind, mit ihren Smartphones das Konzert zu filmen. Dafür aber gibt es eine tolle Version von Herons Allwetterblues „Winter in America“ und seinen Alkoholblues „The Bottle“.

Alle Stücke sind von den drei Mitmusikern unglaublich entspannt, nahezu esoterisch instrumentiert: Leises E-Piano, Synthesizer-Streicherflächen, Congas, Panflöte oder Mundharmonika und immer wieder das Shékere, ein afroamerikanisches Schlag- und Schüttelinstrument, bei dem Perlen um den Klangkörper einer trockenen, entleerten Kürbisfrucht unglaublich laut rascheln.

Verglichen mit den Klängen auf dem aktuellen Album, das an die elektronische TripHop-Ästhetik von Bristol-Acts wie Massive Attack erinnert, klang die Band am Donnerstag eher nach dem „Black Music“-Fach auf dem Plattenflohmarkt. Spätestens als sie „I’ll take care of you“ vom neuen Album spielen, wird dem begeisterten Publikum aber klar, dass es hier einfach um die Songs geht, um den großen Sprachwitz, der aus vollem Herzen über die Hölle auf Erden lacht und nicht um die Erfüllung moderner Produktionsstandards.

„Wir sind gegen Krieg! Wenn wir es schon nicht schaffen, den Krieg zu beenden, vielleicht schafft es ja das Geld“, agitiert Heron ironisch zwischen den Songs. Aber die Ironie in der Black Poetry ist eine andere als die Ironie im weißen Warhol-Pop: Den Laden zynisch am Laufen zu halten ist einfach etwas anderes, als sich darüber zu freuen, überhaupt noch am Leben zu sein. In jedem Lächeln, das Gil Scott-Heron uns an diesem Abend schenkt, in jedem angekratzten Timbre seines Gesangs steckt genau das Gefühl, von dem wir uns alle allzu gern an den Tresen dieser Welt erzählen, wenn wir sagen „Früher war alles besser“. Aber für Gil Scott-Heron gab es nie ein früheres Besser. Und auch keine Hoffnung auf eine rosige Zukunft. Nur Blues im Hier und Jetzt. MAURICE SUMMEN