Eingesperrt im eigenen Leben

In seinem Stück „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ lässt Ulrich Rasche die Körperutopien des Philosophen Michel Foucault und die Drogenerfahrungen von Christiane F. aufeinander prallen. Manchmal wird die strenge Monotonie auch unfreiwillig komisch

Mit großer Geste wird auf der leeren Bühne das große Nichts vorgeführt

von WIEBKE POROMBKA

Michel Foucault hat einen wunderschönen Text über die Liebe geschrieben. „Der utopische Körper“ heißt er und erzählt davon, wie das sinnliche Begehren den Menschen mit dem eigenen Körper verschmelzen lässt, der ihm zuvor nur wie ein sinnleere Hülle erschienen ist.

Foucault ja, Verschmelzung nein. Ulrich Rasche, der in seiner Inszenierung „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ Texte des französischen Philosophen mit den zum Klassiker gewordenen Drogenerfahrungen von Christiane F. verschnitten hat, gestattet seinen acht Schauspielern nicht, sich zu berühren. Eingesperrt in ihre starren Körper erheben sie sich mal einzeln, mal in der Gruppe von Bänken, die um eine schwarze Fläche verteilt sind. Dann treten sie unter einen der Lichtkegel, die aus der schwarzen Deckenverkleidung fallen. Fast tonlos und mit einer quälenden Langsamkeit, immer frontal nach vorn gewandt, sprechen sie über delirierende Körper, über Körper im Zustand des Verfalls, über Schmerz und manchmal sogar über Momente des Glücks.

Es gibt keine Figuren und keine Geschichte an diesem Abend in den Sophiensælen. Die Schauspieler sind Vehikel, zwischen denen die Texte hin- und herwechseln. Nur ein Pulsschlag, der unaufhörlich im Hintergrund pumpt, gibt Zeichen von Lebendigkeit. Gegen den Text gehen heißt das Konzept, das hier praktiziert wird. Wenn von exzessiver Körperlichkeit gesprochen wird, ist der Körper des Sprechenden wie unberührt. Dieses theatrale Prinzip kann Spannung herstellen. Auch an diesem Abend gibt es Passagen, in denen man ganz genau auf die Schilderungen von Wohnungen hört, in denen der Gestank von vergammelten Fischkonserven, Zigaretten und Exkrementen unter der Tür hindurchkriecht. Wenn aber zwei junge Schauspieler synchron durch den Raum schreiten müssen, um am Ende ihres langen Weges zu sagen: „Menschen“ – Pause – „Menschen“ – Pause – „Rausch“ oder „U-to-pie“, dann wird die Ernsthaftigkeit zur Komik.

Es ist der Verzicht auf jede Brechung, der die „Installation für acht Schauspieler“, wie der Regisseur seine Arbeit nennt, so durchschaubar, so unfreiwillig komisch und vor allem so unglaublich altbacken macht. Mit großer Geste wird hier das große Nichts vorgeführt. Rasche blickt, so heißt es in seiner Vita, auf eine langjährige Zusammenarbeit mit Robert Wilson zurück. Und es verwundert, dass er dort nicht bemerkt hat, dass reduziertes oder formalisiertes Theater nicht bedeutet, einfach alles wegzunehmen.

Die Kunst von Wilson besteht darin, durch Zurücknahme die Körper auf eine neue Art zum Sprechen zu bringen. Die „Kinder vom Bahnhof Zoo“ aber, die in ein aseptisches Theater-Irgendwo versetzt sind, bleiben jenseits allen Begehrens und jeder Utopie. Sie bleiben stumm und verraten nichts, was über eine inspirierte Textcollage hinausgehen würde.

Dass Rasche es versteht, kluge Verknüpfungen herzustellen, hat er zuletzt bewiesen, als er in Stuttgart Kirchenlieder mit Passagen aus Max Webers „Protestantischer Ethik“ zusammengebracht hat. Hier hat er auch eine Form des Chorischen etabliert, das auf Wiederholung und Monotonie setzt. Doch der litaneiartige Charakter, der in Stuttgart seinen inszenierungsspezifischen Zweck erfüllt haben dürfte, beschert dem Publikum in Berlin zähe neunzig Minuten. Am Ende kommt dann allerdings fast noch so etwas wie Bewegung ins Spiel. Als eine Todesvision von Christiane F. geschildert wird – Foucault setzt den Tod mit dem utopischen Körperzustand der Liebenden gleich –, sinken die Schauspieler, die Rasches Konzept sehr diszipliniert umsetzen, auf den schwarzen Bühnenboden. Das ist nicht eben originell. Aber irgendwie ist man doch erleichtert.

Bis 14. 5., 20 Uhr (Fr./Sa. auch 22 Uhr), Sophiensæle, Sophienstraße 18