berliner szenen Start-up in Neukölln

Der Arbeitsmüde

Der Frühling war doch noch in den eiskalten Innenhof hineingekrochen. Das Sonnenlicht fiel in die grauen Spinnweben, die da oben sachte in der Heizungsluft schwebten. Dr. S. lag auf seinem zerschlissenen Ikea-Sofa und starrte an die Decke. Er hatte etwas in Anna Rheinsbergs Roman „Basco“ gelesen: Die Erzählerin fährt mit ihrem gleichnamigen Geliebten durch das winterliche Katalonien und friert dauernd.

Dr. S. fürchtete die kommende Abrechnung der Hausverwaltung. „Das hast du nun davon, du beschissener prekärer Intello“, dachte er bei sich, „dass du immer gegen alles bist.“ Sein Blick fiel auf den ochsenblutroten Fußboden seiner Neuköllner Minibude, 180 Euro Miete im Monat. Die Farbe begann bereits sich abzulösen. Besonders unter den Rollen des kaputten Schreibtischstuhls, auf dem er immer saß, wenn er Artikel schrieb, die gut zahlende Blätter nie drucken wollten. Dieses ätzende Rot war außerdem auf die zerlöcherten Opa-Hausschuhe übergegangen, die ihm seine Exfreundin mal aus Mitleid geschenkt hatte und die er immer noch trug.

Im Kühlschrank war das Bier ausgegangen. Die Vorstellung, sich erheben und die 500 Meter zum nächsten Aldi latschen zu müssen, gefiel ihm nicht. Obwohl draußen alles scheinheilig grünte, wie er im Augenwinkel wahrnahm. Müde bediente er die Fernbedienung, deren fast leere Batterien es gerade noch schafften, Nils Petter Molvaers Song „Hurry Slowly“ in Gang zu setzen. Dr. S. erhob sich seufzend – vielleicht sollte er einfach mal ein Word-Dokument öffnen und sich eine „Berliner Szene“ ausdenken? Später würde er sowieso wieder in die Türkische Nachhilfeschule latschen müssen, wo er den Elftklässlern bei den Hausaufgaben half. Guten Morgen, Neukölln. JAN SÜSELBECK