Münster: Polizei lässt Neonazis laufen

Mit Hilfe der Polizei gelingt 60 angereisten Rechtsextremen der Aufmarsch durch einen Münsteraner Vorort. 1.600 Gegendemonstranten wollten die Rechten-Demo verhindern. Jetzt fühlen sie sich von der Einsatzleitung „verschaukelt“

MÜNSTER taz ■ Mit einem Appell an Zivilcourage endete am Samstag die Gegenkundgebung zum Nazi-Aufmarsch im Münsteraner Vorort Hiltrup. „Zivilcourage zeigt man auf der Straße und nicht auf dem Bürgersteig“, rief Mitorganisator Peter Ragausch und die Hälfte der 1.600 Versammlungsteilnehmer aus allen politischen Lagern blockierte daraufhin die offizielle Marschroute der 60 angereisten Rechtsextremen. Alles deutete darauf hin, dass die Neonazis um Axel Reitz wie im Februar nach wenigen Metern die Rückreise antreten mussten. Doch durch ein von der Polizei indirekt unterstütztes Verwirrspiel gelang ihnen erstmals seit acht Jahren der Abschluss eines Aufmarsches – allerdings durch eine menschenleere Wohngegend.

Der Grund: Einsatzleiter Fritz Unterberg akzeptierte kurzfristig eine vom rechtsextremen Versammlungsleiter Daniel Gräf vorgeschlagene Alternativroute und ließ die Blockierer in dem Glauben, dass sie sich auf der angemeldeten Strecke befinden. „Das war keine Deeskalations-, sondern eine Desinformationspolitik“, kritisierte Mitorganisator Mark Dingerkus, Sprecher des Münsteraner Friedensforums: „Wir wurden verschaukelt!“ Auch der Leiter des parteipolitisch-gewerkschaftlichen „Bündnisses gegen Nazis“. GEW-Geschäftsführer Carsten Peters, fühlt sich hintergangen: „Die Transparenz von unserer Seite wurde mit Unglaubwürdigkeit erwidert. Das ist keine Grundlage für zukünftige Kooperationsgespräche.“ Der Leiter der Polizeipressestelle, Alfons Probst, bestreitet, dass es sich um Strategie gehandelt habe. Eine Verkettung unglücklicher Umstände habe vielleicht zu dem Eindruck beigetragen, dass die Neonazis weiter die angemeldete Route verfolgen. „Jeder, der uns gefragt hätte, wäre im Bilde gewesen.“

Jochen Hesping, AStA-Vorsitzender und beim studentisch-alternativen „Bündnis gegen Rechts“ aktiv, sieht das anders. „Das offiziell zuständige Bürgertelefon gab uns keine Auskunft. Die Polizisten waren entweder nicht befugt oder gewillt etwas zu sagen.“ Zusammen mit 200 Antifaschisten schaffte er es, den Nazi-Aufmarsch zu finden und mit einer Sitzblockade zum Stehen zu bringen. Aber die Polizei-Hundertschaft drängte teilweise mit Griffen an Gurgel und Haaren die Gegendemonstranten in eine Seitengasse, um sie dort einzukesseln. „Vollkommen übertriebene Härte“, sagt Mitinitiator Spyros Marinos, der Vorsitzende des städtischen Ausländerbeirates, der mit einer Plakataktion zur Gegen-Demo aufgerufen hatte. „Einkesselung ist definitiv unverhältnismäßig bei einer komplett gewaltfreien Sitzblockade“, sagt der grüne Ratsherr Tim Rohleder – als Mitglied des städtischen Polizeibeirates will er das noch einmal thematisieren. Das Behindern einer legalen Versammlung sei ein Straftatbestand, erklärte hingegen Polizeisprecher Frank Reitmeister. „Wir sind dann zur Räumung verpflichtet.“

Ob es auch dazu gekommen wäre, wenn die etwa 800 kirchlichen, parteipolitischen und gewerkschaftlichen Blockierer in der Seitenstraße gestanden hätten, wagt Carsten Peters zu bezweifeln. Dennoch zog der Bündnissprecher ein positives Fazit: Etwa 1.600 BürgerInnen nahmen an der gemeinsamen Gegenkundgebung der beiden Bündnisse teil. Selbst als die Versammlung die genehmigte Zeit überschritt und somit illegal war, blieben sogar städtische Amts- und Mandatsträger stehen, um das Programm bis zum Ende zu verfolgen. „Die Neonazis sind zwar marschiert“, sagt Peters „aber nur indem sie vor einer breiten Mehrheit der Bevölkerung ausgewichen sind.“ RALF GOETZE