Wie auch Sie kein Arbeiterführer werden

GEBRAUCHSANWEISUNG Nach Jürgen Rüttgers’ Wahlniederlage in NRW fragen sich viele: Wie hat er das nur angestellt? Fünf Erklärungsansätze

Dass es bei ihm mit „Versöhnen statt spalten“ nicht so weit her ist wie bei Johannes Rau, hat Jürgen Rüttgers in seiner eigenen Partei beeindruckend bewiesen: Selten ist in Deutschland ein Spitzenpolitiker so gezielt von Unzufriedenen in den eigenen Reihen angeschossen worden wie der NRW-Premier

Hohle Phrasen dreschen

Nach seinem Wahlsieg vor fünf Jahren verkündete Jürgen Rüttgers: „Der Vorsitzende der Arbeiterpartei in Nordrhein-Westfalen bin ich.“ Nicht wenige rieben sich verwundert die Augen: Das geht doch gar nicht, der ist doch in der CDU! Doch Rüttgers ließ sich nicht beirren – und das passende Drehbuch schreiben.

Es müsse um die Vermittlung einiger weniger schlichter Botschaften gehen, „die dann charakteristisch, stilprägend für Ihren Regierungsstil sind“, heißt es in den vertraulichen „Grundüberlegungen“. „Sie dürfen nicht der sein, der die bösen Wahrheiten über zu bringende Opfer verkündet.“ Stattdessen müsse Rüttgers die Rolle eines „Kümmerers“ spielen. Gesagt, getan: Mit eingängigen Slogans machte Rüttgers schwer auf „soziales Gewissen“ der Republik, forderte unablässig eine „Generalrevision“ bei Hartz IV. Das machte der SPD lange Zeit mächtig zu schaffen. Denn die verteidigte jedes Komma der in der Bevölkerung höchst unbeliebten „Reform“.

Die Masche klappte ganz gut – bis die SPD blöderweise ihre starrköpfige Linie änderte. Und Rüttgers über Nacht ganz alt aussah. Da dämmerte auch dem Letzten, dass es mit seiner Wahlkampfparole, „Privat vor Staat“ finde er doof, auch nicht so weit her sein kann. Trug nicht sein Koalitionsvertrag mit der FDP diese Überschrift? Dass die Wähler so wenig vergesslich sind, war Pech für Rüttgers. PASCAL BEUCKER

Sich mit Rau verbrüdern

Dass es bei ihm mit „Versöhnen statt spalten“ nicht so weit her war, hat Jürgen Rüttgers beeindruckend in seiner eigenen Partei bewiesen: Selten ist in Deutschland ein Spitzenpolitiker so gezielt von Unzufriedenen in den eigenen Reihen angeschossen worden wie der eitle NRW-Premier.

Mehr als ein halbes Jahr lang, fein dosiert, wurde der angeblich so volkstümlich-nahbar-faire Rüttgers entzaubert. Nicht von der Opposition, sondern von CDU-Mitgliedern, denen ihre Partei Herzensanliegen ist. Vom „Aufstand der Anständigen“ war bald in Blogs wie Presse die Rede, doch Rüttgers ignorierte alle Warnsignale souverän: Waren ja keine Arbeiter.

Vielmehr biederte Rüttgers sich bald ganz direkt bei Bruder Johannes an, aus dessen Zeit der „Versöhnen statt spalten“-Slogan stammt: „Wir in Nordrhein-Westfalen“ stand plötzlich wieder auf den Wahlplakaten. Doch drauf war Jürgen Rüttgers statt Johannes Rau. Nur der Mann dahinter soll weiter derselbe sein: WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach, der in einem früheren SPD-Leben die (erfolgreichen) NRW-Wahlkämpfe von Rau managte, jetzt aber offenbar dem selbst ernannten Arbeiterführer verfallen ist.

Doch was nützt es, wenn eine schlechte Kopie (Rüttgers) das im ganzen Land alles andere als vergessene Original (Rau) anbetet? Nichts! STEFFEN GRIMBERG

Den Kämpfer mimen

Wenn’s ganz hart wird, zitiert Jürgen Rüttgers auch schon mal Rudi Dutschkes Grabrede auf Holger Meins: „Der Kampf geht weiter“, ruft er dann den Arbeitern der Bochumer Opel-Werke zu. Die aber gehen Rüttgers nicht auf den Schleim – und brüllen arbeiterführerdarstellerverarschend „Rotfront, Jürgen!“ zurück. Denn an Rüttgers glaubt in Bochum keiner mehr. Nach einer jahrelangen Hängepartie stehen die Opel-Werke auf der Kippe. Bekommen die Bochumer nicht den Zuschlag für neue, attraktive Modelle, gehen spätestens in fünf bis sechs Jahren die Lichter aus. Über zehntausend Jobs kostet das. Doch die Bosse der Opel-Muttergesellschaft General Motors behandeln Rüttgers wie eine beliebige Provinzgurke: Er wisse selbst nicht, „wohin die Reise geht“, sagt er nach einer großspurig angekündigten Reise zur GM-Zentrale in Detroit.

Hilfe kommt nicht – das konnten die Opelaner schon ein paar Kilometer weiter bei Nokia beobachten. „Unsinn, nichts als Unsinn“ sei die Entscheidung der Finnen, ihre Bochumer Fabrik zu schließen, wütete Rüttgers. „Unverständlich, unangemessen und nicht in Ordnung“ der fluchtartige Abgang nach Rumänien. Das war’s. Die vielen Arbeiterinnen, die bei Nokia Handys zusammenschraubten, stehen auf der Straße. Der Nokia-Nachfolger RIM beschäftigt nur noch die Ingenieure der Forschungsabteilung. ANDREAS WYPUTTA

Auf Gott vertrauen

Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch Gott – das war wohl das Motto des letzten CDU-Landesparteitags vor den NRW-Wahlen. Rüttgers stand wegen allerlei Affärchen mit dem Rücken zur Wand und ließ zwei Prälaten aufmarschieren. Bewaffnet mit einem „mobilen Holzkreuz“ riefen die Geistlichen ihre Christdemokraten eine halbe Stunde lang zum Gebet auf, trösteten die vom drohenden Machtverlust Verängstigten mit „Der Herr richtet die Gebeugten auf.“

Überhaupt, Kreuze: Die sind Rüttgers als „Symbole christlich-abendländischer Wertvorstellungen“ ganz, ganz wichtig: Gern kämpft er für Kruzifixe, etwa in Düsseldorfer Gerichtsgebäuden – und bringt so vor allem die vielen Muslime im Land gegen sich auf: Jeder zehnte Einwohner Nordrhein-Westfalens ist Migrant, die meisten stammen aus der Türkei. Mit Rüttgers’ großem Vorbild, dem Predigersohn Johannes Rau, hat das wenig zu tun: „Versöhnen statt spalten“ – das war das Motto von „Bruder Johannes“ nicht nur bei seinen gefürchteten Kirchentagsauftritten, auch gegenüber Andersgläubigen. Von Rüttgers dagegen gab’s zu den vielen muslimischen Migranten in Duisburg-Marxloh, der Dortmunder Nordstadt und anderswo, deren Malocherjobs auf Nimmerwiedersehen verschwinden, dagegen im ganzen Wahlkampf kein Wort. Aber die wählen ja sowieso die alte Arbeiterpartei SPD. WYP

Nix mitkriegen, wie denn auch?

Skandale tut man ja gut kölsch erst besser jar nich ignorieren, das weiß natürlich auch der Rheinländer Jürgen R. Als die NRW-CDU ihren Ministerpräsidenten zum Landesparteitag 2010 im „Partnerpaket“ für 20.000 Euro an die Firmenwelt verscherbeln will, hat der selbsternannte Arbeiterführer von derlei Buhlen um Sponsoren für die wahlkampfgeschlauchte Parteikasse nichts gewusst.

Rüttgers gibt empört den ignoranten Landesvater. Und gesteht lieber ein, dass er als CDU-Vorsitzender in NRW leider nicht mitbekommt, was sein eigener Generalsekretär Hendrik Wüst so alles treibt, statt Verantwortung zu übernehmen. Also wird eben Wüst gefeuert. Dumm nur, wenn anschließend bekannt wird, dass Rüttgers schon als Spitzenkandidat im Wahlkampf 2004 für „Roadshows“ gegen Bares zu mieten war, Standbesuch beim Sponsor inklusive.

Ob wüste E-Mails aus seiner Staatskanzlei über seine Herausfordererin Hannelore Kraft („Das geschieht der Alten recht. Immer auf die Omme“) oder die Anfang Mai bekannt gewordene freundliche Unterstützung einer nur angeblich freien und unabhängigen Wählerinitiative aus der Kasse seiner CDU im Wahlkampf 2005: Rüttgers hat keine Ahnung. Augen zu und durch. Und hoffen, dass wer auf Pressemeldungen à la „Angebliche Finanzaffäre ist Teil des SPD-Schmutzwahlkampfes“ hereinfällt. STG